Freelens Essay: Kriegsreporter. Mythen und Wirklichkeit eines Berufsbildes

Wer und was bestimmt unser Bild vom Krieg? Sind Kriegsfotografen tatsächlich die umsichtigen Zeugen in bewaffneten und humanitären Konflikten, als die sie häufig dargestellt werden? Welchen Regeln und welchen Manipulationen unterliegen die Erstellung und der Konsum von Bildern aus Krieg und Konflikt und wie gehen wir damit (kritisch) in der öffentlichen Debatte um?

Die Kollegen von FREELENS haben einen erwähnenswerten Themen-Schwerpunkt zu diesen und anderen Fragen für 2019 begonnen, der sich mit Kriegs-, Krisen und Konfliktfotografie beschäftigt, in aktueller wie in historischer Perspektive, und haben mich gebeten einen Essay aus meiner langjährigen Erfahrung und Arbeit beizusteuern,
siehe hier
zum Essay in voller Länge siehe unten.

Das Thema verdient Aufmerksamkeit, nicht zuletzt wegen seiner Verbindung zur Flucht- und Migrations-/Integrations-Debatte. Trotz einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten über Kriegs- und Konfliktfotografie 
bleibt Vieles in diesem Kontext nach wie vor wenig reflektiert.

Hervorzuheben ist zum Beispiel der aktuelle Sammelband Images in Conflict – Bilder im Conflict von Karen Fromm, Sophia Greiff und Anna Stemmler (hier) , der sich dem Verhältnis von Konflikten und ihrer Medialisierung widmet und den Fokus auf aktuelle Visualisierungsstrategien und ‚Bilderkriege‘ richtet. (eine Besprechung in Kürze hier)

außerdem der Band:
Fotografinnen an der Front. Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus.
Prestel Verlag 2019 . 224 Seiten, mit Texten von Anne-Marie Beckmann, Ingo Borges, Melanie Grimm, Sebastian Knoll, Felicity Korn, Kristina Lemke, Brigitte Sahler und Maria Zinser (eine Besprechung in Kürze hier)

weiterführende links

Ins Netz gegangen #01: Linktipps zur Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie

zu Fotografie im Kontext der neuen sog. social media/Freelens Archiv über Für und Wieder auf Instagram und anderen Diensten,
https://freelens.com/news-kategorie/social-media/

Essay
Kriegsreporter: 
Über Mythen und Wirklichkeit eines Berufsbildes

Jene, die nicht im Krieg waren, habe ich gelernt, vergeben am Ehesten die Bezeichnung Kriegsreporter. Medien in der Heimat sind das. Diese fragwürdige Aufwertung von Berufskollegen produziert vielerlei Mythen und Missverständnisse. Kriegsreporter wird bereits genannt, wer von kurzen Einsätzen zurückkehrt.

Die Jahre, die ich im Irak, in Nahost, in Afrika, der Türkei und in Afghanistan gearbeitet aber auch dort mit den Menschen gelebt habe, helfen mir zu verstehen: Krieg ist mehr als nur die ominöse Front. Krieg ist vor allem das Fehlen von Sicherheiten: Der Klang von Drohnen und Geschützen in der Luft. Jungen, die Leichenteile vom Baum holen. Frauen, die hinter Gitter sitzen als Opfer von Vergewaltigungen. Gefängnis-Insassen, die sich freikaufen. Staaten, die erpressbar sind, aber ebenso korrupt. Regierungen, die sich nicht verteidigen können gegen innere wie äußere Feinde. Wenn der Westen darauf mit militärischer Intervention reagiert, dann vor allem wenn er seine Ressourcen und seinen strategischen Einfluss in Gefahr glaubt. Dem Militär folgen Entwicklungshelfer, mittlerweile eine eigene Industrie, die mitunter Konflikte auch verschärft.

Auf beides, das Militär und die Hilfsorganisationen, folgen die Medien, Journalisten und Fotografen in den Konflikt. Die „vierte Gewalt“ mutiert dabei erstaunlich oft zum Vehikel offizieller Verlautbarungen. Der Vietnam-Krieg in den 1960er Jahren, das letzte Einfallstor vom Militär zugelassener kritischer Berichterstattung im Krieg, scheint vor allem Jüngeren, wenn überhaupt, nur noch eine blasse Erinnerung. In den heutigen Kriegen dominiert das Embedding die Berichterstattung. Dabei unterstellen sich (Foto)Journalisten den Regeln militärischer Medienführung. Bilder können also jederzeit gelöscht werden. Das macht gefügig. Dafür gibt es Anreise, Unterkunft und Interviewpartnen zu Vorzugskonditionen . Ein guter Deal, finden viele Reporter. Eine wichtige Arbeit, meinen sie, weil es um unsere Soldaten geht, oder um unsere vermeintlichen Verbündeten.

Ein Embed dauert mehrere Tage, selten Wochen. Für Print- und Agenturmedien ist es die Regel. Dies folgt auch ökonomischen Erwägungen. Berichte von außerhalb des Militärs kosten Zeit und Geld, bedürfen erheblicher Recherche und der Hilfe durch lokale Begleiter und Übersetzen. Der journalistische Mehrwert, heißt es gerne aus den Redaktionen, sei fraglich. So bleibt die Bevölkerung des Landes, in das interveniert wird, häufig außen vor und die Zusammenhänge des Krieges geraten aus dem Blickfeld. Al Qaida und Taliban etwa haben in Afghanistan bis heute verschiedene Agenden (globale gegen nationale). Jahrelang aber hat man uns glauben gemacht, sie seien ein und dasselbe.

Die Medien scheinen sich mit dem Embedding abgefunden zu haben. Die Kritik daran, etwa im zweiten Golfkrieg, währte nur kurz. (Foto)journalistische Erzählungen sind damit permanent in der Gefahr, Helden-Narrative zu verstärken, während nicht selten Hilflosigkeit und Ohnmacht herrschen.

Immer wieder sind es Redaktionen zuhause, die über Thema und Fokus entscheiden. Ihr Wissen, ihre Phantasie sind dabei geografisch wie kulturell eingeschränkt: Vielfalt im Kriegsland, die unser Weltbild in Frage stellt, fällt so schwer zuzulassen. Dabei ist die Vielfalt real: Burka und Niqab sind meist nicht die erste Priorität von Frauen im Konflikt. Bauern in muslimischen Ländern zugleich oft mehr am Fortschritt ihrer Töchter interessiert, als wir gemeinhein unterstellen. So gerät das Bild vom Krieg in Schieflage.

Charlotte Wiedemann, freie Autorin, sagt in ihrem Buch Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben: „Wie das diplomatische Korps die politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands vertritt, so sind die Korrespondenten das Korps zur Verteidigung unserer Weltanschauung“. Ähnliches gilt für den Fotojournalismus. Das Foto einer Frau in Burka markiert, wo wir uns befinden. Zugleich verstellt es den Blick. Warum sonst meinen viele Leser bis heute, in Afghanistan trügen Frauen die Burka selbst in geschlossenen Räumen über dem Kopf?

Wissen und glaubwürdige Darstellung brauchen Zeit. Beides gibt es in der digitalen Medienwelt immer weniger. Früher nahmen sich Korrespondenten Zeit, ihr Berichtsgebiet zu bereisen. Heute fehlt diese. Deutsche Medien haben im Afghanistan-Krieg seit 2001 fast durchweg auf feste Korrespondenten vor Ort verzichtet. Die Schönfärberei von Militär und, ja, teilweise auch von Hilfsorganisationen fällt damit umso leichter. Afghanistan und Irak zeigen exemplarisch, dass und wie sich Medien auch von den Agenden der Entwicklungshilfe-Industrie und ihren Akteuren leiten lassen. Manche Hilfe scheitert.Das „Warum“ bleibt immer wieder unreflektiert. Wichtig erscheinen vor allem Erfolgsmeldungen für Zuhause, am Besten gut bebildert. Im Wettstreit um immer knappere Spendengelder investieren viele NGOs mittlerweile in eigene Foto- und Filmteams. (Foto)Journalismus als kreativer Akt kämpft dabei ums Überleben.

Weitgehend unreflektiert bleibt in der Berichterstattung der sogenannte Conflict-Chic: Graffitti-Sprayer und Ski-Fahrerinnen am Hindukusch wirken auf den ersten Blick exotisch. Oft sind sie mehr on unseren Medien gemacht als Ausdruck einer realen Bewegung. Stereotypen und Fehlurteile verstärken sich so. Sich ein authentisches Bild vom Konflikt zu machen, wird immer schwieriger. Der andere, der frische Blick ist rar. Am Ehesten liefern ihn freie, unabhängige Autoren mit Zeit und Zugang zu Land und Menschen. Ihr Risiko, neben Sicherheit und enormen Kosten: nicht mehr eingeladen zu werden, weil sie als zu kritisch gelten.
Mehr noch: obwohl gerade freie Autoren im Konflikt schwer zu recherchierende, unabhängige Informationen an die Öffentlichkeit bringen (Stichwort Whistleblower), passiert es immer häufiger, dass ihre Erkenntnisse in Zweifel gezogen werden. Dem begegnen etablierte Medien und Medienkonzerne zunehmend, indem sie mit Recherche-Teams ans Werk gehen. Das macht weniger angreifbar. Zugleich steht es für eine Verschärfung im digitalen Krieg um Medien-Aufmerksamkeit.

Kriegsberichterstattung, das sind auch Erzählungen mit westlicher Deutungshoheit. Das Leid anderer zu zeigen ist vermutlich alternativlos, aber bleibt gleichwohl ein Instrument visueller Deutungs-Macht. Wo ökonomische und humanitäre Abhängigkeiten bestehen, ist ein Dialog, ein Fotografieren auf Augenhöhe nur schwer möglich. Die Empathie von Fotografen mit dem Opfer erscheint mir oft eingeredet, weniger real. Denn schon geht es weiter zum nächsten Ort oder Schlachtfeld. Zugespitzt formuliert manifestiert sich in der Kriegsfotografie mithin ein verschärfter Nord-Süd-Konflikt.

Besseren Zugang zu Mensch und Gesellschaft haben oft einheimische (Foto)Reporter. Die meisten kennen wir nicht. Sie verschwinden anonymisiert hinter dem Kürzel von Nachrichtenagenturen. Agentur-Kollegen, die aus dem Westen einfliegen, profitieren von ihrer Vorarbeit. Lokale Reporteren tragen immer das größere Risiko, sind sofort am Ort eines Anschlags, jahrein, jahraus. Trotzdem sind sie nicht annährend so gut versichert wie ihre internationalen Kollegen: Eine Zwei-Klassengesellschaft.

Die Bilder und Berichte dieser lokalen Reporter und Fotografen nehmen wir oft erst dann wahr, wenn für uns der Zugang zum Konflikt schwieriger wird, wie im Syrienkrieg. Oder wenn es politisch opportun ist, sich ihren Arbeiten zu öffnen, wie etwa im Zuge der Flüchtlingsdebatte. Meinem Freund und Kollegen, dem afghanischen Fotojournalisten Massoud Hosseini, habe ich jahrelang nahegelegt, bei seiner renommierten Nachrichtenagentur auf gleichen Versicherungsschutz zu pochen. Er zögerte. Immer wieder. Erst als er den Pulitzer Preis in Händen hielt, traute er sich: „Jetzt werden sie mich wohl nicht vor die Tür setzen, wenn ich danach frage.“