Kabul zwischen Schock und Protest. Berlin setzt Abschiebungen aus, aber wie lange?

Hier habe ich einige Informationen zur Fortschreibung des Anschlags vom Mittwoch in Kabul zusammengetragen.
Wobei mittlerweile eher von ‚den Anschlägen‘ die Rede sein muss. Über das Wochenende gab es drei Parallel-Anschläge auf der Beerdigung einer Person, die politisch und symbolisch wichtig ist zum Verständnis der inneren Unruhen, die seit Donnerstag nicht nur in Kabul zu beobachten sind. Inzwischen hat es auch in Herat, der zweitgrössten Stadt, Demonstrationen gegen die Regierung der nationalen Einheit gegeben, die es, so hat es gelegentlich den Anschein, nur noch dem Namen nach gibt. Zugleich scheint es wenig wahrscheinlich, dass sie aufgrund der jetzigen Proteste, die im Grundsatz nicht neu sind, kollabiert. Dazu bedürfte es weiterer Kriterien einer innenpolitischen Krise.

Auf der unabhängigen Plattform für Wissenschaft und Information Alsharq (hier)
habe ich auch die Entwicklungen in der deutschen Abschiebungsdebatte bis zum Pfingstwochenende zusammengetragen. Bundesaußenminister Gabriel (SPD) hat jetzt Gespräche mit den Taliban gefordert, u.a. vermutlich weil für diese Woche ein multilaterales Treffen zur Vertrauensbildung und mit Blick auf einen erneuerten Gesprächsfaden mit den Taliban auf der Agenda steht. Forderungen wie diese kommen zu sporadisch und unregelmäßig, könnte man sagen, von deutscher und internationaler Seite, um ein entscheidendes Momentum zu entfalten. Etwas anderes wäre es, wenn deutsche und internationale Politik sich einig wären, dass und wie ein stabiler Gesprächsfaden hergestellt werden kann. Die Bundesrepublik hatte hier einmal eine Vertrauens-Stellung vorrübergehend, auch aus Perspektive der Taliban. Die aber wieder verloren gegangen ist über die Jahre. Zur Zeit versucht Deutschland über Pakistan u.a. Einfluss zu nehmen, dass wiederum viel auf China hört. Kompliziert wird die Situation dadurch, dass mit Rußland zuletzt ein weiterer Großakteur Anspruch auf eine Rolle in potenziellen Friedensgesprächen mit den Taliban angemeldet hat, was den Beginn vertrauensvoller Vorgespräche zu späteren Gesprächen nicht einfacher macht.

In meinem Beitrag für Alsharq ist von gravierendere Mängeln und Fehlern des BAMF bei der Annahme, Beurteilung und der finalen Entscheidung von Asylanträgen, darunter vieler Afghanen, die Rede. Und von einer Überprüfung und Korrektur mehrerer tausend Fälle und Bescheide aus den letzten beiden Jahren. Diese Korrekture wird allerdings nicht einhergehen mit einer Korrektur bisheriger Bescheide im Sinn humanitärer Offenheit und Transparenz, warnen Menschenrechtsorganisationen. So schreibt die Rechtsabteilung von ProAsyl mir dazu den folgenden Hinweis:
„Überprüft werden beim BAMF bis auf Weiteres lediglich anerkennende Entscheidungen (meine Hevorhebung) – mit der fatalen Nebenwirkung, dass sich das BAMF ab Spätsommer vorrangig mit vorgezogenen Widerrufsprüfungen und ggf. auch Rücknahmeverfahren befassen wird (Widerruf, falls die Anerkennungsvoraussetzungen sich z.B. durch die Lage in AFG verändert haben; Rücknahme, falls eine Anerkennung (angeblich) rechtswidrig ergangen ist.) Dass die BAMF-Mängel mindestens in ähnlichem Ausmaß auf ablehnende Entscheidungen zutreffen, dass juckt weder BAMF noch BMI. Der Fall Franco A. wird also zur Steilvorlage für eine mögliche weitere Senkung der Schutzquote.“
Wer insofern geglaubt hat, die vorrübergehende und teilweise Aufhebung von Abschiebungen im Zuge einer erneuten Überprüfung der Sicherheitslage in Afghanistan könne ein Zeichen für ein Einlenken sein, dürfte sich getäuscht sehen.