US-Taliban Abkommen in Doha: Türöffner oder gefährlicher Poker?

Hier (DLF) mein heutiger Kommentar im Deutschlandfunk zum gestrigen Abkommen der US-Regierung mit den Taliban, sowie zur parallelen Vereinbarung der US-Regierung mit der afghanischen Regierung in Kabul.
(Zur Vertragsunterzeichnung in Doha gestern mein Beitrag im DLF hier.)
Die Abkommen im Originaltext sind hier (Doha-Vereinbarung) und hier (Kabuler Vereinbarung).


Der afghanische Taliban-Vizechef Mullah Abdul Ghani Achund, besser bekannt als Mullah Baradar und der US-Sonderberat für Afghanistan Zalmay Khalilzad bei der Unterzeichnung des Abkommens am Samstag in Doha.   (photography Giuseppe Cacace/AFP)


US-Taliban Einigung: Ein Abkommen mit vielen Fragenzeichen

Zehn Tage. Die nächsten zehn Tage werden Aufschluss darüber geben, ob die Vereinbarung zwischen Taliban und Trump-Regierung, die Frieden für Afghanistan bringen soll, dies auch vermag. In Vielem ist das Papier eine Absichtserklärung.
 Zehn Tage, in denen zum Beispiel ein Gefangenen-Austausch für rund 5.000 Taliban-Kämpfer über die Bühne gehen soll. Hier zeigt sich bereits die Krux: Denn die afghanische Regierung ist nicht Vertragspartei für diesen Teil. Die Taliban meiden sie, wie der Teufel das Weihwasser. Viele Taliban-Kämpfer sitzen aber nicht in US-Haft, sondern in Gefängnissen des afghanischen Staates.

Daraus versucht Präsident Ghani Kapital zu schlagen. Er ist der eigentliche Souverän Afghanistans. Auf dem Papier. Tatsächlich ist Ghani so geschwächt wie nie zuvor. Und mit ihm die afghanischen Institutionen. Denn nicht Ghani wird den Taliban bei den innerafghanischen Gesprächen gegenübersitzen, die in zehn Tagen beginnen sollen, sondern eine kleine Schar von 15 bis 30 Männern und Frauen, die das afghanische Volk repräsentieren sollen. Um diese Delegation ist hinter den Kulissen ein erbitterter Streit entbrannt. Jeder will seine Parteigänger darin unterbringen. Darüber könnten alte, unbeglichene Rechnungen wieder aufbrechen.

Die innerafghanischen Gespräche können solange nicht funktionieren, wie Ghanis faktischer Premier-Minister, Abdullah, mit Widerstand droht weil er sich als eigentlicher Sieger der Präsidentschaftswahl sieht. Erst durch Druck von US- und internationaler Seite hat man ihn von der Idee einer Gegenregierung abbringen können. All das macht das Geschäft der Taliban, die nur darauf warten, dass sich die Kabuler Regierung zerlegt.

Kann man den Taliban trauen? Selbst in der Trump-Regierung gibt es ernste Zweifel daran. Hätte sie eine klare Antwort, wäre Trump vermutlich schon in Doha auf dem Gruppen-Foto dabei gewesen. Die sieben Tage Feuerpause in Afghanistan bis zu diesem Wochenende waren ein erster Lackmustest. Weitere Beweise ihrer angeblichen Läuterung müssen nun die Taliban liefern. Einen endgültigen Waffenstillstand schliessen wollen diese erst am Ende innerafghanischer Gespräche. Aber können diese fruchtbar verlaufen, wenn Waffengewalt jederzeit als Druckmittel einsetzt werden kann?

Hier liegt eine Gefahr der beiden Vertragswerke, die die US-Regierung gestern unterzeichnet hat. Das eine in Doha mit den Taliban. Das andere in Kabul, mit der Regierung Ghani. Diplomatisch, politisch wie juristisch versuchen sie zusammenzubringen, was viele Sollbruchstellen hat. Denn der weitere Verlauf von Feuerpause, innerafghanischen Gesprächen und Ausschaltung von Al Qaida und IS in Afghanistan, dem sich die Taliban verpflichtet haben, sind vertraglich nicht ausreichend miteinander verbunden. Und die Vereinbarung zwischen den USA und der Kabuler Regierung ist auch nur eine Erklärung, kein Vertrag.

Den hat Trump aus eigennützigen, innenpolitischen Gründen den Taliban angeboten. Der Deal mit Nord-Koreas Machthaber lässt grüssen. 
 Das US-Militär heimzuholen ist grundsätzlich nicht verwerflich. Im Gegenteil. Das Risiko für Afghanistans Sicherheit allerdings ist erheblich. Der Abzug aller US-Streitkräfte schafft ein militärisches Vakuum, das nicht-geläuterte Taliban wie lauernde Nachbarstaaten, allen voran Pakistan, ausnutzen können. Es ist auch ein Abschied Amerikas von der Rolle als Weltmacht.

Halten die Taliban sich nicht an ihre Zusagen, wolle auch die USA das Abkommen nicht weiter verfolgen.
Diese Art von US-Diplomatie ähnelt in Wahrheit mehr einem Pokern, als dass sie angewandter Vernunft folgt. 
Für Deutschland bedeuten dies: ziehen die US-Truppen ganz ab, wird auch die Bundeswehr nicht am Hindukusch bleiben. Viele wir das freuen. Zugleich haben wir den Menschen in Afghanistan das Versprechen gegeben, sie nicht im Stich zu lassen. Sind die afghanischen Streitkräfte alleine wirklich stark genug? Wie souverän ist ein Land, das über keine nennenswerte eigene Luftwaffe verfügt? Und dessen Streitkräfte der Westen zu 100 Prozent finanziert?

Seit gestern wird, einmal mehr, mit den Hoffnungen der Menschen in Afghanistan gespielt. Sie feiern, vielerorts. Weil sie Freund und Verwandte in den benachbarten Landkreisen nach langer Zeit erstmals wieder besuchen können. Weil Internet und Handys wieder ungestört funktionieren. Weil der Weg zur Arbeit die letzten sieben Tage sicher war und nicht voller Angst vor dem nächsten Anschlag. Wer diese Hoffnungen enttäuscht oder die Chance verspielt, die jetzt real ist, sollte dafür Rechenschaft ablegen. Kommt kein Frieden, werden die Menschen ihr Vertrauen wieder verlieren. Und weiter flüchten.