Afghanistan retten: aber wie? Kommentar
Hier mein Kommentar im Deutschlandfunk zu den Ergebnissen der sogenannten Geberkonferenz in Genf zur Notlage in Afghanistan und angesichts des jüngsten Machtwechsels am Hindukusch: (die Audio-Version, hier, ist leicht gekürzt)
Afghanistan retten – aber wie?
Geberkonferenz für Afghanistan. Wieder einmal. Diesmal aber ist alles anders. Wie in einem Krimi. Auf der einen Seite sitzen in Kabul die neuen Machthaber, von denen einige auf westlichen Terrorlisten stehen, . Auf der anderen Seite machen die Taliban nicht zuletzt die Geberländer für die grassierende Korruption der letzten zwanzig Jahre in Afghanistan mitverantwortlich. Was sich nicht ernsthaft bestreiten lässt. Beide erscheinen jetzt wie Einäugige in der Wüste. Sie müssen führen, aber das Terrain ist unklar. Keiner traut dem Anderen über den Weg. Wieviel humanitäre Hilfe stabilisiert am Ende womöglich das Taliban-Regime? Wieviel Pragmatismus braucht es umgekehrt, um Menschenleben zu retten, bei allen Vorbehalten gegenüber den neuen Machthabern, die selbst offenbart haben, das Land nicht allein durch diese Not bringen zu können. Ja, auf ihre Art, nach westlicher Hilfe gieren.
Amerikaner und Europäer halten über die nun gemachten Zusagen sowie über Milliarden-Kredite der jüngsten Vergangenheit noch etwa die Hälfte des afghanischen Bruttosozialprodukts in der Hand. Das verschafft einen Rest von Einfluß. . Aber: China steht bereits in den Startlöchern, um den Westen abzulösen.
Die Geberländer tun gut daran, pragmatisch zu handeln, nicht alles an Konditionen zu binden. Also nicht jedes Kilo Reis oder Mehl in jeder Sekunde mit individuellen Freiheitsrechten aufzuwiegen. So wünschenswert, so wenig machbar.
Private Hilfsorganisationen machen seit Jahren vor, wie es gehen könnte. Viele Projekte kleiner Nichtregierungsorganisationen zeigen, dass es möglich ist, mit lokalen Taliban-Gruppen zu verhandeln, einen kontinuierlichen Dialog zu führen. Von der Dialogfähigkeit dieser Kleinen können die Großen lernen.
Das Zeichen dieser Konferenz – die so dringend benötigte kurzfristige humanitäre Hilfe nicht an Bedingungen zu knüpfen – ist damit auch ein Zeichen an die westlichen Helfer und ihrem Appell nach dem nötigen Spielraum durch ihre eigenen Regierungen.
Man kann sicher sein, dass Erstere beim Umgang mit den Taliban auch auf Mindeststandards für Kinder und Frauen schauen werden. Ohne dies, keine Verteilung der Nothilfe.
Ganz schnell müssen neben Lastern und Flugzeugen, die Berge von Reis ins Land bringen, die afghanischen Banken wieder liquide werden. Internationale Transfers müssen wieder möglich sein. Nur etwa 10 Prozent der Afghanen haben ein Bank-Konto. Aber ihr Geldfluss hält große Teile der Wirtschaft am Leben. Und die ist im freien Fall.
Eine Familie in Kabul darf zurzeit nur 200 US-Dollar pro Woche abheben. Benzin wird rar. Der Preis für Brot und andere Nahrungsmittel steigt. Öffentlicher wie privater Sektor entlassen immer mehr Menschen. Unter den neuen Machthabern ist kein oder kaum ein ausgewiesener Ökonom. Allerdings verfügen die Taliban über viel Geld aus dem Drogenhandel. Seit Jahren. Werden sie dies nun einsetzen, zum Wohl ihre eigenen Volkes? Man sollte nicht daraufsetzen, wie die jüngere Geschichte zeigt.
Deutschland hat weitere Millionen Euro eingeplant für die Nachbarstaaten. Wenn dies richtig angegangen wird, und ohne neuerliche westliche Hybris, könnte hier ein Nukleus liegen für die künftige Vertrauensbildung in der Region. Zuviel erwarten sollte man sich allerdings nicht. Denn noch ist das Lecken der Wunden im Westen in Gange. Und der Überschwang über den Sieg in Kabul spürbar.