Afghanistans Kunst, Flucht & gelungene Integration
Hier ist mein Kommentar, zwei Jahre nach der Rückkehr der Taliban in Afgahnistan, über die Folgen der
Flucht insbesondere für evakuierte Kunst- und Kulturschaffende und der Frage, wie können und müssen
wir Integration in Deutschland und Europa neu denken.
Erschiennen im Deutschlandfunk (hier) und in gekürzter Fassung in der taz (hier):
Bis heute fliehen Künstler und Kulturschaffende aus Afghanistan, wenn auch in kleinerer Zahl. Deutschland hat in zwei Jahren mehrere Zehntausend Evakuierte aufgenommen, darunter viele Akademiker und Aktivisten. Sie haben bei uns ein neues Zuhause gefunden. Sie bereichern Deutschland mit ihren Arbeiten. Viele wohnen aber auch, zwei Jahre nach ihrer Ankunft, in Erst- und Übergangseinrichtungen. Einen freien Kopf dafür, wie es in Deutschland künstle risch für sie weitergehen soll, haben die Wenigsten.
Weil das so ist, haben öffentliche und private Kultur-Träger in den letzten beiden Jahren Förder- und Stipendienprogramme für Afghaninnen und Afghanen aufgesetzt. Dabei haben beide Seiten mitunter falsche Vorstellungen. Unwissen mischt sich mit Illusionen.
Wichtig ist es etwa, afghanischen Kunst- und Kulturschaffenden klar zu machen, dass Fördergelder nicht fließen wie Hilfsgelder in Afghanistan. Zwanzig Jahre lang war nicht die Qualität afghanischer Kunst der Leitgedanke westlicher Geberländer, sondern der Mittelabfluss. Wer als Afghane eine Organisation für Kultur gründen wollte, bekam Hilfsgelder und galt als Künstler. Geld, nicht Kreativität lautete die Triebfeder dieser Zusammenarbeit. Nicht die Afghanen sind dafür zu kritisieren. Es bleibt ein Systemfehler westlicher Entwicklungshilfe, die so auch ein falsches Verständnis von Kultur generiert.
Im neuen Exil Deutschland finden sich afghanische Kulturschaffende im Dschungel deutscher und europäischer Fördermöglichkeiten wieder. Es braucht dringlich Aufklärung, und zwar langfristig, damit alle sich einbringen können. Hinzu kommt: Als Künstler aus der Masse herauszuragen ist in der afghanischen Gesellschaft weit einfacher, als hierzulande. Es kann heilsam sein, dies offen anzusprechen. Die Konkurrenz im deutschen Kunst- und Kulturbetrieb um vorhandene Töpfe ist so groß und so hart, dass selbst für hier Geborene oft keine Förderung herausspringt. Kreativ zu sein heißt leider allzu oft: finanziell prekär zu leben, mehrere Jobs zu haben und mit Ausdauer irgendwie mehr oder weniger erfolgreiche Kunst zu gestalten.
Ohne fließendes Deutsch geht gar nichts, hören die Evakuierten und Geflüchteten immer wieder. Das stimmt, einerseits. Andererseits: Theater von oder mit migrierten Schauspieler:innen, die inklusive, also mehrsprachige Künstler-Ensembles hervorbringen, zeigen, dass es auch anders geht. Das braucht es dringend in der Breite. Projekte junger afghanischer Darsteller gibt es bereits. Ob ihnen der Sprung vom Laiendarsteller zum Schauspieler gelingt, hängt von Neugier und Pragmatismus deutscher Bühnen ab (und wie diese unsere sich wandelnde Gesellschaft institutionell abbilden.
Es braucht weiterhin mehr afghanische Stimmen im öffentlichen Diskurs, in unseren Medien etwa, und mit selbstbewussten Narrativen. Dass eine Stimme wie Navid Kermani im Feuilleton angefragt wird, um über das Fühlen und Denken von Afghanen zu schreiben, ist ein Armutszeugnis für Redaktionen. Neue Medien-Vielfalt ist nötig: Unter zugewanderten Afghanen sind viele Medienprofis und Filmemacher. Könnten Redaktions-Teams in Medienhäusern deren Texte und Geschichten über einen Pool von Übersetzern miterzählen? Das Publikum würde so von ihren starken Geschichten und beeindruckenden Lebenswegen erfahren; beide Seiten würden so lernen, Sprachlosigkeit und Unwissen zu überwinden.
An vielen Problemen sind wir selbst schuld: ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan können hier sofort arbeiten, haben aber kein Anrecht auf einen Integrationskurs. Ein Fehler. Auch die Träger der Kulturförderung, öffentliche wie private, müssten mithelfen das deutsche Bildungs- und Fördersystem transparent zu machen. Denn das ist es für Zugewanderte nicht. So hätten auch Afghanen faire, bessere Chancen in der deutschen Kulturlandschaft repräsentiert zu sein. Bislang bleibt Diskriminierung nämlich ein Stichwort, durch alle Generation der Zugewanderten. Eine Kritik, die man zu Recht häufig hört.