Krieg um Mossul: Goethe im Flüchtlingslager

Vor ein paar Monaten war ich mit Gast des Internationalen Filmfestivals in Duhok/Nordirak mit meiner Arbeit. Der Krieg um Mossul gegen den IS warf bereits seine Schatten voraus. Auf der Rückfahrt nach Erbil schlug ich dem Team des Goethe-Instituts im Irak vor, einen Workshop zum Thema Radio in einem der Flüchtlingslager mit Vertriebenen aus der Region Mossul zu organisieren. Das Institut ist in einem der Lager aktiv. Ein dreiviertel Jahr später ist diese Idee Wirklichkeit geworden. (siehe hier) Die Begegnung verlief vielversprechend, wie ich unten in meinem Bericht versuche zu skizzieren, wobei ich mir der Folgen solcher Treffen durchaus bewußt bin, was Fragen und Zweifel an der Langzeit- und Tiefenwirkung solcher Maßnahmen für die Betroffenen angeht:

Das Thermometer zeit siebenundvierzig Grad im Schatten. Die sengende Sonne hat Risse in die Zelte der Flüchtlinge gezeichnet. Der Wind pfeift wie eine Fuge aus Feuer durch die Gesichter und Glieder der Menschen, die mit bedächtigen Bewegungen in den Zelten sitzen. Nur ein paar Decken darin, auf die sie sich stützten. Und warten. Darauf dass der Kampf um Mossul und Hawija gegen den IS ein Ende hat und sie zurückkehren können. Für Mossul hat sich der Wunsch, mit viel Zerstörung, erfüllt. Nicht für Hawija dagegen. Ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten eines künftigen Zusammenlebens zwischen mittlerweile vielfach verfeindeten Nachbarn.

Unter diesen Bedingungen in einem Flüchtlingslager für Binnenvertriebene aus Mossul und Hawija einen Workshop für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren zu halten über Radio-Machen im Irak, über den Umgang mit Ton, Wort und Schrift ist ein gewagtes Unterfangen, eine kulturelle mission difficile, zwischen notdürftigem Leben und Überleben. Am Rand der Zelte bedecken Mütter ihre Neugeborenen und Babys in winzigen Waschküchen mit einem Tuch, wie zur Beerdigung. Wassergetränkt das Tuch. Immer wieder wird das nasse Tuch über die winzigen Körper der Babys ausgebreitet. Damit sie nicht austrocknen.
 (Bild)

Die positive Überraschung: der Workshop wirkt auf Teilnehmer und Teilnehmerinnen wie Wasser angesichts der intellektuellen und kommunikativen Brache, die im Flüchtlingslager herrscht. Es gibt zwar hunderte Zelte, dicht an dicht. Aber Lagerleben heißt primär Abschottung. Die Frauen können oft nicht raus, dürfen zumeist nicht arbeiten, mit anpacken. So sind die Töne und Worte, die Aufnahmen und der Austausch, die das Radio-Seminar anbieten, eine Oase für den Geist, wie sich schnell herausstellt. Auch weil es im Lager Debaga aufgrund der dreimonatigen Schulferien zur Zeit keinerlei kulturelle Angebote sonst gibt.
 (Bild: Lager Dibaga Stadion, eines von fünf Dibaga-Lagern, die alle dicht nebeneinander liegen und den eigentlichen Ort Dibaga, mit 3-4 Tausend Einwohnern völlig in den Schatten stellen).

Ein Erfolg scheint der Radio-Workshop, der den jungen Teilnehmern, darunter vier Frauen, das Handwerk für Interviews und Journalismus als Anfänger vermittelt, auch deshalb weil er zum Teil traumatisierte Menschen überhaupt wieder in eine Welt der Kommunikation und des Austauschs mit der Welt draussen zurückholt. 
Wie in allen Lagern mit Mossul-Flüchtlingen hat das persönliche Gespräch in Debaga Seltenheitswert. Lagerleben bedeutet immer wieder soziale Abschottung. Zumal Täter und Opfer mehr als einmal Zelt an Zelt wohnen, wie sich herausstellt. Sicherheitsdienste an den Toren überwachen die Flüchtlinge. Besonders alleinstehende minderjährige Männer im Lager gelten als potentielle Gefährder.

Das Goethe-Institut Irak kooperiert in Debaga, also im kurdischen Nordirak, mit Terre des Hommes. In den Katakomben einer alten Stadion-Tribüne drei schmucklose Räume als Jugendzentrum hergerichtet. Herzstück des Instituts ist ein sogenannte Ideas-Box. Das sind vier grosse Kisten auf Rädern: darin stecken Laptops, Aufnahmegeräte, Kopfhörer und Bücher, die die jungen Männer und Frauen mit der Welt vernetzen sollen. 
Radio-Machen ist dabei – ich kenne das aus anderen Konfliktländern – das ideale Medium zum Lernen auch ohne Schrift. Offen für Analphabeten, die es auch in der Gruppe gibt, die sich aber nicht scheuen mitzumachen.

Weil einige der Teilnehmer seit bald zwei Jahren keine öffentliche, funktionierende Schule von innen gesehen haben, wird auch sichtbar. Hier lernen sie wieder und neu wie Kommunikation funktioniert, und mit dem Mikrofon in der Hand. Hier dürfen sie neugierig sein, dem Gegenüber etwas entlocken, ihn auch respektvoll behandeln in Wort und Ton. Das ist, in dieser waffen- und kriegsschwangeren Region, zugleich ein kleiner Aufruf zum Frieden. Übertrieben? Ein Körnchen Wahrheit steckt darin. Denn wo verfeindete Seiten zusammensitzen, schweigen die Waffen.

Hinter den Zäunen des Lagers in Debaga leben vor allem Sunniten. Einen Kilometer weiter steht ein Lager mit geflüchteten Jesiden. Bis dahin gelange ich mit den Teilnehmer des Radio-Workshops nicht. Dafür liegt das Dorf Debaga, um das die Flüchtlingslager, gleich fünf an der Zahl, gebaut sind. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen hier auch über das Leid der Kurden. Von Gewalt und Vertreibung, die den Kurden unter Saddam Hussein angetan wurden. 
Es brauche einen Nelson Mandela für den Irak, der die Religionen und Ethnien im Land wieder versöhnt, bemerkt einer der Teilnehmer. Und schreibt einen Kurzkommentar, der offen lässt, wer im Irak die Schwarzen und die Weissen in diesem Krieg sind.

Im letzten Jahr noch schien es, als könne der kleine Ort Debaga die Zahl der Vertriebenen nicht mehr bewältigen. Binnen weniger Wochen wuchs die Zahl der Flüchtlinge aus der Mossul-Region in den fünf nebeneinander liegenden Lagern von 6.000 auf 40.000 Menschen. Es tauchten Fahrzeuge der Hashd al-Shaabi auf, Milizen die an der Seite der Anti-IS-Koaltion gegen Daesh kämpfen. Sie kamen um junge Männer in Lastwagen aus dem Lager zu rekrutieren für den Kampf. UNHCR und internationale Beobachter waren tatenlos. Dann entstand die Idee, der Rekrutierung für den Krieg etwas entgegenzusetzen. Es entstand das Jugendzentrum in den Stadion-Katakomben und die Absicht,  junge Männern im Lager mit Medien und Unterhaltung ein sinnvolles Angebot zu machen.

Weil viele der Vertriebenen in Debaga aus ländlichen Bezirken um Mossul kommen, ist der soziale Umgang zurückhalten, konservativ. Zum Teil untersagen die Familien ihren Mädchen und Frauen den wenige hundert Meter langen Weg durch die Lagerzelte in das Jugendzentrum und zur Ideas Box.
Die vier Frauen, die im Radio-Workshop mitmachen, wohnen nicht zufällig direkt an den Räumen des Jugendzentrums, so hat es den Anschein. Die Mädchen und jungen Frauen sind schweigsam. Bringen aber oft die besten Interviews aus den Zelten mit.
Senden kann die Ideas Box selbst die Aufnahmen des Radio-Workshops nicht.
 Dafür sind MiCT als Partner mit im Boot und Start FM, ein kürzlich entstandenes Radio für Flüchtlinge und die Bevölkerung in Mossul, dass über Livestream und Facebook aus dem kurdischen Erbil sendet. Eine junge dynamische Frau zeichnet hier verantwortlich für den Programminhalt. In den nächsten Tagen wird sie drei Umfragen über Start FM nach Mossul hinein senden, die die Teilnehmer in den Workshops aufgenommen haben: über Rache und den gerechten Umgang mit IS-Sympathisanten, über Frauenarbeit im Lager und die Herausforderung Kinder zu bekommen mitten im Krieg. Für die jungen Frauen und Männer, die dem IS entkommen sind, ist das Radio-Machen ihr Highlight der Woche. Mit etwas Glück für den Einen oder Anderen vielleicht sogar eine echte Perspektive auf der Suche nach Arbeit und neuer Hoffnung. Denn am Ende geht es, wie häufig, um die eine Sache: sich Sysiphos glücklich vorzustellen.

Am Ende stand die Reise mit der Gruppe nach Erbil bevor. Zu Start FM, einem Radio von Flüchtlingen aus Mossul gemacht, für Vertriebene und Bewohner aus Mossul, und das ein Teil der im Rahmen des workshops entstandenen Aufnahmen übernehmen würde. Die Anbahnung dieser Tagesreise wurde zum Spiegel der aktuellen Verhältnisse: zunächst hiess es, die meisten Teilnehmer der Gruppe bekämen keine Genehmigung. Es gebe Mitglieder des IS oder Sympathisanten unter ihren Familienmitgliedern und/oder Verwandten. Für solche Informationen ist in der Regel der kurdische Geheimdienst zuständig. Eine knappe Woche später durfte die Gruppe dann doch reisen. Zurück blieb allerdings ein komisches Gefühl: was macht es mit diesen jungen Menschen, sie diesem Verdacht auszusetzen? Oder trifft der Verdacht zu? Jedenfalls mag es für die aktuelle Nervosität kurdischer Behörden sprechen, gerade jungen Männern gegenüber erst einmal eine Prognose des Zweifelns und Mißtrauens auszusprechen. Auch wenn man den Verdacht dann – wie gesehen – zurücknimmt (womöglich lagen Namensverwechselungen vor, oder die erste Instanz der Aufklärung hatte nicht treffsicher geurteilt) bleiben der Eindruck und die Gefahr eines Stigmas, dass junge Männer wie Frauen jahrelang begleiten kann. So sind gesammelte Informationen über mögliche Täter und ihr Umfeld ein Machtinstrument im aktuellen Kontext des Krieges um Mossul und Hunderttausender Vertriebener und Flüchtlinge, die sich nicht sicher sein können, ob und was man ihnen später einmal vorhalten wird.

Zum Workshop in Debaga auch meine Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur (hier) und Deutschlandfunk (hier).
Zum Hören der gesamten Sendung des Radio-Workshops auf Start FM geht es hier. (Sendung vom 17. Juli 2017)