Integration nach der Tat in Aschaffenburg


Wo stehen wir 10 Jahre nach dem Satzu und der Philosophie „Wir schaffen das?“.
Hier mein Kommentar im DLF aus aktuellem Anlaß:
https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-zum-attentat-in-aschaffenburg-welche-lehren-fuer-die-integration-100.html

Damit verbunden die Frage: Ist psychische Gesundheit ein blinder Fleck in der Geflüchtetenhilfe?
Hier mein Interview im Deutschlandfunk aus aktuellem Anlaß:
https://www.deutschlandfunk.de/der-tag-24-01-100.html

hier der volle Text,

Integrationspolitik nach der Tag in Aschaffenburg

Integration, man muss es wiederholen, ist ein zweigleisiger Prozess, der von uns einfordert, was wir eigentlich stolz sein können zu geben. Er meint geistige Beweglichkeit, weil Gesellschaft nie still steht und immer in Bewegung ist. Die Zugewanderten von heute sind nicht selten die Gründer von morgen, wie die Geschichte zeigt. Und wenn Politik ausreichend Weichen dafür stellt.
Tausende Initaitiven und Vereine der deutschen Zivilgesellscahft machen täglich vor, wie es geht. Städte, Länder und Bund sind oft vergleichsweise behäbiger. Warum Behörden etwa nötige Daten nicht digital und zeitnah austauschen können, leuchtet nicht ein und führt mithin zu Sicherheitslücken.

Zehn Jahre nach dem Satz „Wir schaffen das“ bleibt unverändert Luft nach oben. Beispiel Unterkünfte: noch immer verbringen zugewanderte Familien überdurchschnittlich lange Zeit in Übergangsunterkünften, ohne eigene Kochmöglichkeit und Privatsphäre. Viele warten ein halbes Jahr und länger auf den ersten Sprachkurs. Mehrere Jahre gar, bevor sie vier Wände beziehen können, die sich halbwegs wie eine Ersatz-Heimat anfühlt. Jetzt sollen auch Millionen-Gelder bei Integrationskursen gekürzt werden, in denen Zugewanderte Deutsch lernen. Extra für Jugendliche, Eltern und Frauen sollen Kurse gestrichen, das Wiederholen erschwert werden. Problematisch, sagen Experten, denn bestimmte dieser Gruppen haben ein Anrecht auf Teilnahme. Für Frauen steigen statistisch sogar die Chancen, einen Job zu finden, solange sie einen Kurs besuchen.

Die Tat von Aschaffenburg, verabscheuungswürdig wie sie ist, hat außerdem auf einen Mangel aufmerksam gemacht. In der Integrationsarbeit fehlt es chronisch an Sozialarbeitern und Psychologen. Besonders an solchen, die Persisch sprechen. Das trifft auch und vor allem Afghanen und Afghaninnen, die regelmäßig traumatisiert ankommen, mit Stress und Depression kämpfen oder bei denen sich Furcht und Agressionen mischen. Dabei zu identifizieren, wann Anzeichen von psychischer Störung alarmierend sind und auf mögliche Gewalt hindeuten können, bedarf des Wissens über die Kultur des Anderen und geschulter Achtsamkeit. Das Gros der Geflüchteten dagegen verbringt anfangs viel Zeit in Übergangsheimen mit Personal aus Sicherheitsdiensten, das oft selbst vor nicht langer Zeit in vergleichbaren Unterkünften gewohnt hat.

Es muss also schnell in psychosoziale Hilfen, Angebote und Ausbildungen investiert werden als Teil vorausschauender Gesundheitspolitik. Das wäre zugleich ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit im öffentlichen Leben.
Ebenso müssen Zugewanderte gleich zu Beginn über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Und es gilt, sie sinnvoll zu beschäftigen. Jede Woche, jeder Monat der Untätigkeit ohne Perspektive entleert das Leben, steigert Depression, kann zu Wut und Aggression führen. Auch wenn die deutsche Sprache noch nicht da ist, kann man vulnerablen Menschen eine Stimme geben: in geschützten Räumen, realen wie digitalen, in denen sie sagen und aufschreiben können, wie sie ihr neues Leben mit uns empfinden. Sich erproben können. Auch so läßt sich schneller feststellen, wer auffällig ist und wer nicht.
Bei all dem sollten wir uns nicht täuschen lassen von den verbalen Geschützen, die deutsche Politiker und Populisten weltweit immer unverfrorener auffahren. Denn viele der Zugewanderten entwerfen ein Bild von ihrer Zukunft, in der uns mehr verbindet als uns trennt.