Irakisches Tagebuch: Die letzten Christen von Basra. Eine Begegnung

Aus dem Zweistromland und zum Jahrestag des Festes kommt die folgende Weihnachtsgeschichte von meiner Reise, die weniger Anlass gibt zu Optimismus gibt als vielmehr zu genauem Hinschauen, zu Nachfragen und nuanciertem Abwägen in einer der politisch am meisten umkämpften Regionen dieser Tage. Sie erzählt von der Begegnung mit jenen wenigen Christen, die noch im Süden des Landes leben. 
Die Heldin dieser Geschichte ist Juliana Dawood, Lehrerin und Universitätsdozentin für Englisch, geboren 1956 in Basra, und eine von rund 400 Christen, die der Stadt noch nicht den Rücken gekehrt haben.
Was hält Menschen wie Juliana noch in ihrer Heimat, obwohl sie sich und ihresgleichen als verfolgt empfindet?
Welche Identitäten teilt sie nolens volens mit jenen, die sich insgeheim ihre Vertreibung wünschen? Und wie kommt es – um eine kuriose, weil widersprüchliche Seite von Julianas Geschichte zu erzählen – dass ausgerechnet jene, die für das Verschwinden des Christentums in Basra stehen, zu den grössten Verfechtern von Weihnachtsbäumen und -andenken im Irak gehören?
Über all das erzählt Juliana in dem folgenden Gespräch, das ich in mehrere Portionen aufgeteilt und mit Bildern meiner Begegnung mit ihr in Basra versehen habe. 
Die Quintessenz von Julianas Geschichte? Heimat entsteht aus Migration. Und Ankommen von Auf-der-Reise-sein. Das war und ist vermutlich nie anders gewesen. Denn obwohl in Basra geboren, sind Julianas Großeltern als christliche Assyrer vor den Folgen des osmamischen Mordes an den Armeniern geflohen vor mehr als Hundert Jahren, um über die Türkei und den Iran am Ende Basra zu erreichen.

 

Wie auch anderswo sind es viele Jahre lang Christen gewesen, die auch in Basra den lizensierten Verkauf von Alkohol betrieben haben. Bis dies nach 2003 im Zuge der US-Intervention im Irak, zunehmend zu einem Problem, ja zu einer Gefahr wurde, wie Juliana erzählt.
Interessanterweise sind es jetzt Muslime, die Alkohol verkaufen und daraus ein Geschäft gemacht haben. Illegal, unter der Ladentheke gewissermassen. Geduldet, wenig übrerraschend, und nunmehr als Teil einer anhaltend florierenden Korruption in Basra.

 

 


„Things are not stable now“ / Julian Dawood

Juliana geht, ohne jeden Eifer, unverändert einmal in der Woche in Basra in den Gottesdienst.
Auf öffentliche Feiern, Restaurant-Besuche und Vereinsfeiern verzichtet sie allerdings besonders während des schiitischen Trauermonats Moharram. Dann sei der Druck auf die Minderheiten in Basra, sich anzupassen, besonders gross. 
Begehrt, über das ganze Jahr hinweg und bei vielen gläubigen Muslimen in Basra, ist allerdings die schulische Erziehung in christlichen Einrichtungen. Weil diese offenbar besser und mehr Ordnung, Disziplin, Werte und Fremdsprachen vermitteln, sind über neun von zehn Schüler und Schülerinnen in den christlichen Schulen Basras Muslime und Araber.

 

 

Anders als Mossul ist Basra vom Terror des ‚Islamischen Staates‘ verschont geblieben. 
Allerdings sind viele der jungen Kämpfer für den Kampf gegen den IS aus Basra, Stadt und Region, rekrutiert worden, nachdem der irakische Groß-Ayatollah Sistani vor Jahresfrist zur Bildung der bekannten Freiwilligen-Verbände aufgerufen hatte. Nach dem jüngsten Sieg über den IS landesweit im Irak gilt Basra, so ein verbreitetes Urteil, als „fest in der Hand des Hashd al-Shaabi“, also der irakisch-iranischen Freiwilligen-Verbände, von denen Kritiker schreiben, sie könnten sich zu den neuen Extremisten des Irak entwickeln. Ein Teil der Herausforderung dürfte mit Blick auf die kommenden Wahlen im Mai 2018 tatsächlich darin bestehen, grosse Teile dieser Kämpfer zu entwaffnen und in einen politischen Prozess zu überführen, andernfalls könnten sich viele Gruppierungen innerhalb des Hashd al-Shaabi unabhängig und damit schwer kontrollierbar machen.

 


„Muslims worship Mariam more than Protestants“, Juliana Dawood

Trotz Konflikten und Kriege der letzten Jahrzehnte beherbergt die Stadt immer noch eine Vielzahl von aktiven Kirchen: Chaldäische Katholiken, syrisch-orthodoxe und armenisch-orthodoxe sowie evangelische und adventistische Kirchen. Kreuze auf den Kirchen sind von der Straße sichtbar und einige sind sogar nachts beleuchtet. In Basra, sofern es überhaupt eine Skyline hat, kann man immer noch Kreuz und Minarette zu nächtlicher Stunde im Stadttreiben Seite an Seite sehen.

Juliana about what comes on the talbe to eat on an Iraqi Christmas:

Truthahn hat selbst unter Christen im Irak keine Tradition am Weihnachtstisch. Daran haben auch die bebilderten Kampf-Grussbotschaften George Buschs 2003 an den Rest der Welt nichts geändert.  Viele Christen bereiten zum Fest Fisch oder Huhn vor, so Juliana, auch Biryani. Dazu Säfte und Kleetsche, gefüllte Petit Fours, mit Nüssen und Süßigkeiten. Eine Delikatesse, die sie mit Muslimen teilen.  
Basra ist mit rund vier Millionen Einwohnern die einzige Großstadt am Schatt-al-Arab, dem Zusammenfluss von Eurphrat und Tigris. Aufgrund seiner Ölquellen ist Basra vermutlich das reichste Stück Land auf dieser Erde. Zugleich ist es eine verarmte Stadt und Region. „Fünfte Welt“, wie Iraker selbstkritisch anmerken. Korruption und Vetternwirtschaft gedeihen hier in vielfachen Formen, im Schutz der Religion, und vermutlich auch jetzt unverändert.

 

So klingt der weihnachtliche Gottesdienst in der syriakisch-katholischen Heilig-Herz-Kirche in Basra, bzw. (unten) in der Jungfrau Maria Kirche der syrisch-orthodoxen Gemeinde von Basra.

 

Gesang und Gottestdienst in der Jungfrau Maria Kirche der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Basra

 

Trotz Konflikten und Kriege der letzten Jahrzehnte beherbergt die Stadt immer noch eine Vielzahl von aktiven Kirchen: Chaldäische Katholiken, syrisch-orthodoxe und armenisch-orthodoxe sowie evangelische und adventistische Kirchen. Kreuze auf den Kirchen sind von der Straße sichtbar und einige sind sogar nachts beleuchtet. In Basra, sofern es überhaupt eine Skyline hat, kann man immer noch Kreuz und Minarette zu nächtlicher Stunde im Stadttreiben Seite an Seite sehen.

 

Das christliche Erbe in der südlichen Region im Irak und in Basra besteht seit fast zwei Jahrtausenden, zuerst im Hafen von Spasinou Charax und später mit der Gründung von Basra. Bekanntlich spielte die südliche Region eine wichtige Rolle beim Handel und Export von Waren und Waren, aber auch von Religionen. Aus der Region Basra wurde auch der Export maritimer Handelsrouten über den Golf nach Indien vollzogen. 
Wie im Rest von Mesopotamien bleiben die Ursprünge des Christentums im südlichen Mesopotamien in den ungenauen Nebeln antiker Quellen und ihrer Interpreation verborgen. Einige Hinweise liefern Experten zufolge die Thomas-Dokumente, eine legendäre syrische Geschichte, die erzählt, wie der widerwillige Apostel von Jerusalem nach Indien geschickt wurde, um einen Palast für einen König ‚Gundaphar‘ zu bauen. Die Thomas-Dokumente deuten offenbar darauf hindeuten, dass in Basra im zweiten Jahrhundert bereits „christliche“ Gemeinschaften entstanden. Deutlichere Beweise für eine christliche Präsenz ergeben sich im dritten Jahrhundert, zu einer Zeit, als Episkopate in ganz Mesopotamien und weiter im Ausland errichtet wurden.