Krieg & Krise: Welche Re:publica?



Sich immer neu erfinden zu können – das behauptet die Re:publica, eine von Deutschlands größten Gesellschafts-Konferenzen, von sich selbst. Das klingt wie das Credo eines großen Unternehmens (das die Messe faktisch ist). Auch nach dem Motto erfolgreicher digitaler Solo-Selbständiger. Beide, Großunternehmer und digital-affine Solo-Selbständige, treffen sich vielfach auf der Konferenz.
Als Kommunikations-Messe bietet die Re:publica allerlei Foren zu Themen wie kritische Begleitung von Chat GPT, der Hinterfragung von AI in der Gesellschaft, von der digitalen Bildungsreform und Klimakrise bis hin zur Besteuerung invasiver Mediengiganten wie Google und Facebook. All das geschieht Mitten in Berlin, auf einem für drei Tage extra für die Messe gentrifizierten Areal an der Spree. In diesem Jahr mit über 21-Tausend Besuchern und einem coolen Flair, wie Vertreter der Bundesregierung anerkennend anmerkten.
Ein gesamtdeutsches Treffen ist die Veranstaltung damit nicht. Denn abgesehen von Berlin kommen fast alle Gäste und Fans der Re:publica aus westdeutschen Großstädten. Getrennte Welten unter deutsch-deutsche digital Natives also? Das Phönomen der West-Lastigkeit wäre ein Panel wert gewesen unter den vielen Hunderten an Diskussionsforen. Gerade jetzt, da deutsche Unternehmen so viel Mangel an IT-Fachkräften melden wie nie zu vor in der Geschichte.
Fehlanzeige auch zum Stichwort Ukraine-Krieg, seinen Klima-, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Das Gespräch mit Robert Habeck vor großer Kulisse war eines von insgesamt wenigen Einlassungen über Krieg und Zeitenwende, die uns täglich Aufmerksamkeit abverlangen in einer immer kürzer getakteten Aufmerksamkeitsökonomie. Auf vielen Panels kam die Ukraine und die Kriegs-Folgen bestenfalls am Rand vor. Dabei lieferte die zeitgleiche Explosion des Kachowka-Staudamms bei Cherson eine passende Vorlage für die Veranstaltung. Glaubt man Experten, haben ökologische und gesellschaftliche Dimension damit einen neuen Wendepunkt erreicht.
Die Öffentlichkeit hat mitbekommen, wie vernetzt und digital-afin die ukrainische Gesellschaft trotz aller Zerstörung unverändert ist. Manche Schule und Universität agierte vernetzt digital beispielhaft im internationalen Vergleich und solange sie konnte. Was ist daraus geworden? Wie wirken digitale Kriegs-Technologien auf unsere Zukunft? Was können wir tun, außer Waffen zu liefern und Ohnmacht in den eigenen vier Wänden zu empfinden? Auch hierzu eher zaghafte Einlassungen.
Bleibt das diesjährige Motto der Veranstaltung: Cash. Kapital. Gewinn-Maximierung. Wie und warum verdient Elon Musk an einem einzigen Tag an der Börse durch Spekulation 100 Milliarden Euro? Wie steht es mit (ungleichen) Verteilungskämpfen in unserer Gesellschaft? Wie kann Personen wie Musk, Trump und ihren social media Erfolgsmaschinerien das Handwerk gelegt werden? Wieviel Cash und wieviel Chaos, getarnt in Erfolgsgeschichten neuer wie alter Superreicher, verträgt unsere Gesellschaft? Darauf durfte man sich freuen. Wurde aber überwiegend enttäuscht.
Ja, es gab sie, die Streitgespräche zu Krisen und drohendem wirtschaftlichen Kollaps. In die Tiefe aber gingen sie selten. Das wirtschaftliche Modell anzutasten, und sei es diskursiv, also lediglich in der Theorie, scheint dann doch nicht das Ziel der Re:publica und ihrer prominenten Förderer und Sponsoren. Zahlen, die die Organisatoren zum Ende der Veranstaltung als Quoten des Erfolgs präsentierten, wirkten wie eine Art Wachstums-Bilanz eigenen Zuschnitts, zwei Jahre nach der eher schwierigen Pandemie-Phase. Deutlich vernehmbar und ausgesprochen war: Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit sind zurück. Für (Selbst)Zweifel dagegen ist wenig Platz.