Emergency Room Lesbos: die Not der Flüchtlinge, Unmut der Einheimischen
Der folgende Essay meiner Reise an den EU-Hotspot Lesbos ist Teil der gleichnamigen Fotoausstellung, die von 10. Mai – 6. Juni 2019 im Klarrissenkloster in Köln gezeigt wird.
In Zusammenarbeit mit Aktion Neue Nachbarn, Caritasverband und Katholischem Bildungswerk (hier). Der Essay war auch Teil der Hohenheimer Tagen zum Migrationsrecht der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2019: (zu den Interviews im Deutschlandfunk hier und hier.
Ein Monat Recherche, der wenig Zweifel zulässt: das Bild in unseren Medien über die Zustände auf der Insel, einer von fünf sogenannten Hot Spots der Europäischen Union in der Ägäis zur Kontrolle und Steuerung von Zuwanderung ist unvollständig.
„Immer tiefere Depressionen und Suizidversuche“: Haji Nazari, ein Sprecher und Vertreter der Flüchtlinge im Lager Moria
Die Wirklichkeit auf Lesbos ist bedrückend, oft auch surreal. In rechtlicher wie politischer Hinsicht ist sie intolerabel, gemessen an den Werten und Worten, die wir und unsere gewählten Politiker angeblich hochhalten.
Bedrückend ist sie, weil diese sogenannten Hot Spots gleichbedeutend sind mit einer offenbar intendierten Verschärfung räumlicher Not und Enge in den Flüchtlingslagern, der systematischen Verhinderung von Pritvatsphären, administrativer Willkür im Umgang mit den Zugereisten und des Versagens wie der Entrechtung grundlegender Rechte der hier untergebrachten Menschen. Für viele der rund 8.000 Flüchtlinge auf Lesbos bedeutet Lager-Alltag: einmal Duschen in der Woche, stundenlanges Anstehen für die täglichen Mahlzeiten, die am Ende oft erkaltet sind; keine oder weitgehender Verzicht auf die Teilhabe an Bildung im Kindes, Jugend- und Erwachsenenalter; das Fehlen psycho-sozialer Versorgung; erschwerter Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, um nur einige der Probleme zu nennen.
„Viele der Flüchtlinge hier haben zudem und zum Teil deshalb mit mmer tieferen Depressionen zu kämpfen, auch mit Selbstmordversuchen“, so Haji Nazari. Nazari ist ein Sprecher und Vertreter der Flüchtlinge im Lager Moria. Ich treffe ihn außerhalb des umzäunten Teils des Lagers, im sogenannten olive grove, dem von Olivenbäumen gesäumten Hang rund um das Lager. Hier leben notdürftig und zwischen den Bäumen mehr als 1.000 Menschen, die innerhalb der Umzäunung des Lagers keinen Platz finden. Die meisten von ihnen sind Afghanen, viele darunter Angehörige der Hazara-Ethnie. Auf den Zelten aus Kunststoff prangt teilweise das bekannte UN-Emblem mit den schützenden Händen. Andere hocken im Freien, sind eben erst angekommen mit dem Schlauchboot von der türkischen Seite des Meers, wie sie erzählen, und warten darauf, dass ihnen ein Zelt zugeteilt wird.
Die UN- oder EU-Embleme auf den Zelten können nicht darüber hinwegtäuschen: der olive grove besteht aus Not-Behausungen, soweit das Auge reicht. Offiziell ist der Mangel an Wasser, zum Trinken wie zum Waschen, behoben. Dennoch klagen die Menschen darüber, mit denen ich mich auf Persisch unterhalte. Hier draußen aber auch in der Stadt mangelt es weithin an Übersetzern und Sprachkundigen unter Helfern, Sozialarbeitern, bei Sicherheitspersonal und unter behördlichen Vertretern. Um festzustellen, was vier Tage Dauerregen und Kälte auf dem bergigen Hang anrichten, bei Wind und Blitzgewitter in diesem Winter, braucht man allerdings keinen Übersetzer. Am nächsten Tag hängen Wäscheleinen im Freien zum Trocknen der nass gewordenen Kleider, die Kälte sitzt einigen noch in den Gliedern.
Auch im vierten Jahr nach 2015, der grossen Ankunft, ist Moria Notstandsgebiet. Das schreiben keine westlichen Medien-Vertreter herbei. Das sagt der Bürgermeister von Mytiline selbst, Spyros Galinos. Vor Monaten bereits hat er Alarm geschlagen, an die Adresse seiner eigenen Regierung und auch von EU-Vertretern und eine rasche, faire Verteilung der Flüchtlinge auf das griechische Festland gefordert sowie in die übrigen EU-Länder. Passiert ist seitdem wenig. Im November haben wenige Hunderte Flüchtlinge Mytiline auf grossen Fähren in Richtung Athen verlassen. Die Notlage in Moria hat das nicht grundlegend verändert – zumal weiter wöchentlich, manchmal täglich Dutzende Menschen von der türkischen Seite über das Meer kommen, berichten Helfer und Behörden. Die Flüchtlinge landen jetzt nicht mehr wie 2015 an den nördlichen Stränden von Lesbos, dort wo der Weg über das Meer am Kürzesten ist. Jetzt werden sie von Frontex- oder griechischen Patrouillen-Booten abgefangen, aufgenommen, an Land gebracht und auf kürzsetem Weg ins Lager Moria, wo man ihre Daten aufnimmt.
Die Menschen in Moria leben rund zehn Kilometer außerhalb von Mytilene: „out of sight, out of mind“, wie Kritiker sagen. Die Kritiker werfen staatlichen Behörden und der EU bewußte Abschreckung vor: wo unklar ist, ob und wie man von hier weiterkommt, wo der Alltag täglichen Kampf um das Weiterleben bedeutet, wo der Antrieb erstirbt, es weiter nach Westen in die EU-Länder zu versuchen, dort manifestiere sich der feindliche Charakter der Festung Europa. Die 15-minütige Fahrt von Moria ins Zentrum von Mytilene reicht um zu begreifen: derart getrennt bewahrt die Insel-Metropole zumindest dem Anschein nach ihre Normalität. Keine Anzeichen von sozialem Unfrieden in diesen Tagen. Asiatische wie afrikanische Gesichter gehören zum Stadtbild mittlerweile. Junge Ehepaare mit Kinderwagen sind darunter. dAus Moria selbst heisst es an einem der Tage im Dezember, ein Flüchtling sei umgekommen. Gestorben im Streit zweier Migranten gleicher Nationalität. Einzelheiten bleiben offen.
Es sind Geschichten wie diese – zwischen Tatsachen und Gerüchten oft – die die griechischen Bewohner von Lesbos zunehmend bedrücken, manche verängstigsen. Andere scheint es zu radikalisieren. Dafür steht der Kampf der Grafittis in den Strassen von Mytilene – wobei die andere Seite kräftig zurück sprüht. Ein wenig außerhalb des Stadtzentrums hatten Helfer vor monatsfrist eine Gedenktafel für im Meer verstorbene Flüchtlinge eingeweiht. Mutmaßliche Rechtspopulisten haben sie geschändet. Willkommen in Europa, so der Reflex. Lesbos ist keine Ausnahme von der Regel. Wieso auch? Die Flüchtlinge ihrerseits finden: dies hier, Griechenland, ist nicht Europa. Manchmal äußern Gleiches sogar nachdenkliche Bewohner aus Lesbos.
Touristen kommen seit bald vier Jahren so gut wie keine mehr nach Lesbos. Schuld daran ist vor allem Moria. Das Lager hat Schlagzeilen gemacht, meist negative. Unhaltbare Zustände im Lager und/oder Gewaltausbrüche wurden berichtet. Immer wieder und bis heute sehen viele der Inselbewohner sich zu Unrecht mit den Vorgängen in Verbindung gebracht. Die Not hätten nicht sie zu vertreten, sondern Verantwortliche weiter oben, in Griechenland und Europa. Recht haben sie.
Das Flüchtlingslager Moria, 10 km außerhalb von Mytilene gelegen, gleicht einerseits einem Hochsicherheitstrakt, in dem auch Flüchtlinge inhaftiert sind. Andererseits ist der Schutzzaun an vielen Stellen durchlöchert und kaum kontrollierbar, wer wann ein und ausgeht.
Das Sagen in Moria haben staatliche griechische Migrations-Behörden, Verteidigungs- und Innenministerium. Auch eine Vertretung des europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen EASO ist hier sowie eine Reihe internationaler GOs und NGOs, die sich um die grösste Not kümmern, wie sie beteuern.
Moria wirkt äußerlich wie ein poröser Haftkokmplex: an allen vier Seiten abwechselnd umgeben mit einer Mauer oder einem Stacheldrahtzaun, der immer wieder Löcher aufweist, durch die die Menschen rein- und rausschlüpfen. Innerhalb des Lagers gibt es noch einmal einen eigenen Komplex aus Drahtzäunen und Wachtürmen. Gefängnisartig. Hier, so die Berichte von Lagerbewohnern, würden jene festgehalten, deren Asylanträge zweimal abgelehnt worden sind. Auch vermeintliche Unruhestifter aus dem Lager, die hier Strafen verbüssten.
Auch in diesem Winter erreichen quasi jeden Tag bzw. jede Woche unverändert Dutzende, manchmal Hunderte von Flüchtlingem Lesbos auf dem Seeweg von der türkischen Seite aus. Anders als 2015/16 werden ihre Schlauchboote nun oft von griechischen Grenzschiffen aufgespürt oder von Frontext, der Agentur zum Schutz der EU-Grenzen auf See und Land, und an Land gebracht.
Kälte, Wind und viel Regen in den vergangenen Wochen machen das Leben und Überleben in Moria zu einem Härtetest für die Flüchtlinge. Kleineren Zelten fehlt es an einer stabilen Unterlage, sie halten der harten Jahreszeit nicht immer Stand.
Surreal ist Lesbos, weil (abgesehen von den Helfern) sich Einheimische und die Flüchtlinge oft mit kaum verborgener Ablehnung oder Gleichgültigkeit begegnen. Die Einen beharren darauf, dass Lesbos Transit-Boden ist. Die Migranten sehen in diesem Stück Land nicht das Ziel ihrer Träume. Wirtschaftlich Perspektiven lägen woanders. So ist Integration auf Lesbos ein Wort, das städtische wie staatliche Behörden meider, und sogar ein Teil der Hilfsorganisationen. Denn es würde suggerieren, dass das Bleiben der Flüchtligne damit einhergeht. Faktisch aber verbringen immer mehr Menschen Monat für Monat, Jahr für Jahr auf dem Eiland, ohne zu wissen ob und wann sie von hier jemals wieder wegkommen. Vielen fehlt es an Rechtsberatung und juristischer Hilfe. Allein Kafka, so scheint es, ist ihr Anwalt.
Mann muss sich immer wieder kneifen: Nicht weniger als eine halbe Million Menschen sind seit dem Spätsommer 2015 auf Lesbos angekommen, einer Insel, die selbst nur knapp 80.ooo Einwohner zählt, über die Hälfte davon in Mytilene, wo auch Moria liegt. Angekommen auf zum Teil see-untüchtigen Schlauchbooten und Fischkuttern. Wie in Deutschland öffneten die Menschen auf der Insel auch hier den Flüchtlingen anfangs bereitwillig ihre Arme und Häuser. Stellten Wohnungen, Terrassen und Gärten für jene zur Verfügung, die die gefährliche Überfahrt über das Meer lebendig überstanden hatten. Die Strassen und Bürgersteige in Mytilene waren voll von Menschen seinerzeit Kaum noch Asphalt zu sehen, so überfüllt waren die Strassen und Bürgersteige von Menschen, Zelten, Decken, Papp-Planen, erzählen die Lesbier dem Reisenden.
Viele der Migranten erinnern sich drei Jahre danach mit Dankbarkeit daran. Der Grund ist einfach: viele Griechen auf Lesbos sind selbst Flüchtlinge bzw. kommen aus Flüchtlingsfamilien. Die Geschichte der Katastrophe Kleinasiens 1922, als Hunderttausende Griechen aus der Türkei fliehen mussten (und im Tausch die türkische Bevölkerung im Zuge einer völkerrechtlich sanktionierten ethnischen Säuberung Lesbos und Griechenland verlasen mussten), hinterlässt bis heute ihre Spuren.
Holz-Paletten als Fundamente für ein Zelt. Flüchtlinge errichten eine Unterkunft am Olive-Grove, den Berghängen außerhalb des Lagers Moria, das übervölkert ist und mehr als 1.000 Menschen nicht mehr fassen kann.
Ahnlich wie in Deutschland ist längst Ernüchterung eingekehrt. Mehr noch: Die Inselbewohner von Lesbos fühlen sich verraten. Auf ihrem Rücken liege die ganze Last des EU-Türkei-Abkommens, das die EU-Staatsmänner mit der Erdogan-Regierung im März 2016 vereinbart haben.
Das Abkommen hat Lesbos zu einem Flaschenhals gemacht, von dem aus es kein Weiterkommen gibt für’s Erste. Faktisch hat sich das griechische Festland (und damit die EU) damit vom grössten Druck durch ankommende Migranten frei gemacht. Es lässt sie nun auf den Inseln der nördlichen Ägäis darben. Wenige werden von hier abgeschoben zurück in die Türkei (entgegen einem damaligen Plan, der vorsieht, für jeden abgeschobenen Flüchtling einen Syrer aus der Türkei in die EU einreisen zu lassen). Um jetzt dagegen auf das griechische Festland zu kommen, muss man besondes schutzwürdig oder gefärdet sein. Wer darunter fällt, das ist oft nur schwer nachvollziehbar und wird nach wenig transparenten, zum Teil immer wieder wechselndend Kriterien festgelegt – beklagen Anwälte, Juristen und Parlamentarier-Delegationen, die die Insel besucht und hier recherchiert haben.
Als Transitland im Meer zur Durchreise nach Europa gedacht, lernen Einheimische wie Flüchtlinge so zur Zeit das Warten. Zögerlich nur nähert man sich an. So verkümmern auch zahlreiche Talente der neu Angekommenen. Etwa das von Amer Ali, einem jungen Afghanen, der durch sportliche Erfolge und sprachliche Leistungen auf der Insel auf sich aufmerksam macht, desssen Fähigkeiten aber weithin verkannt bleiben, wie er beklagt.
Humanitär unhaltbare Zustände: in den Notunterkünften um das Lager Moria regnet es rein, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auch in diesem Winter.
Diese Familie aus Kabul ist vor fünf Tagen und wartet auf ein Zelt im sogenannten Olive-grove. Der Olive-grove ist eine Ansammlung aus Notbehelfs-Zelten und Hütten, um das Lager von Moria herum. Rund 1.000 Menschen leben hier zwischen Olivenbäumen und auf kaltem Stein.
Das Lager Moria selbst mit seinen Containern kann nicht alle aufnehmen, ist für 2-3.ooo Menschen konzipiert und beherbergt zur Zeit etwa das 2-3 Fache an Flüchtlingen. Zur Zeit sind nach Angaben griechischer Medien 75 Prozent der Flüchtlinge auf Lesbos Afghanen.
Ein junger Flüchtling zwischen den notdürftigen Zelten des Olive-groves.
Grab der Flüchtlinge: improvisierter Friedhof auf Lesbos. Hier zwei Kinder im Alter von 1 und drei Jahren, die Namen unbekannt.
In der Regel interessieren uns Flüchtlinge, solange sie am Leben sind. Bereits im Januar diesen Jahres werden abermals viele Tote im Mittelmeer gezählt, einem Wintermonat wohlgemerkt. Wenn Flüchtlinge zu Grabe getragen werden, dann passiert dies gelegentlich medienwirksam als Teil eines politisch inszenierten Traueraktes. Die Vertreter europäischer Staaten versuchen dabei einerseits, Trauer und Ohnmacht darzustellen, andererseits einen Rest von handlungsfähigem Europa zu symbolisieren. Eine Gradwanderung, die an den Särgen der toten nur mißlingen kann.
Wer aber kümmert sich um die Toten nach dem Trauerritual? Wo finden die Flüchtlinge ihre letzte Ruhe? Wer stellt ihr Identität fest?
Wie bekommen Hinterbliebene Nachricht und Zugang zu Verstorbenen und dem, was diese hinterlassen? Gibt es angesichts der vielen Toten im Mittelmeer überhaupt feste Regeln der EU-Länder im Umgang mit den Leichen?
Mit diesen Fragen beschäftigen sich Forscher und Wissenschaftler erst seit Kurzem. Um es vorwegzunehmen: das staatliche Handeln ist oft schwer auf einen Nenner zu bringen oder auszumachen. Privatem Engagement begegnet man auch hier, bei dem Versuch, den Toten eine ewige Ruhe zu geben und/oder Hinterbliebene ausfindig zu machen.
Auf Lesbos liegt bei Kato Tritos ein Friedhof im Verborgenen, auf den ich durch Hinweise von Reisenden gestossen bin(s. Foto). Fast idyllisch gelegen zwischen Plantagen aus Olivenbäumen. Durch einen eingerissenen Maschendrahzaun kommt man auf eine grüne Ackerfläche, ein halbes Fußballfeld gross. Rund 40 weisse Steintafeln ragen hier zwischen wild wuchernden Gräsern auf. Eingraviert sind auf einem Teil der Tafeln die Namen der Toten. Die meisten Grabsteine sind mit 2015 und 2016 datiert. Etwas abseits davon weitere angehäufte Erdaufschüttungen, in der Länge eines Körpers. Frischere Gräber diesmal, ganz ohne Grabstein. Viele der Gräbern droht das Unkraut bereits wieder zu verschlucken. Offenbar war lange niemand hier und kümmert sie darum? Andere Aufschriften sind ausgeblichen, witterungsbedingt. „Unbekannt,1 Jahr, unbekannt 3 Jahre“, heisst es auf einer Inschrift. Daneben die Namen junger Iraker, Syrer, Afghanen. Erwachsene. Die meisten junge Männer und Frauen.
Wie sind sie umgekommen, bei dem Versuch, sicheres Ufer zu erreichen? Viele Schlauchboote werden von den Schleppern in der Dunkelheit auf See geschickt. Himmelfahrtskommandos, das die Mutigsten unter den Flüchtlingen dann übernehmen sollen. Eine Fahrt ins Schwarze der Nacht, bei Seegang und Kälte und oft undichten Booten.
Ein Gartenhäuschen, ein hellgrauer Container, steht am Rand dieses Friedhofs, der sich seiner schämen muss, zwischen den Olivenbäumen. Die Tür ist angelehnt. Innen eine Trage mit einem improvisierten Sarg auf einem Tisch, gehüllt in eine grüne Fahne mit islamischer Aufschrift. Das Sterben wird weiter gehen, ist die unzweideutige Botschaft. Keine Adresse, Name oder Anschrift ist hinterlegt, die darauf hinweisen, woher diese Handreichung stammt, wer hier die Toten beerdigt. Womöglich wollen jene, die sich um die Begräbnisse kümmern, nicht identifiziert werden. Sind es Flüchtlinge, die von zugewandten Inselbewohnern eine Fläche als improvisierten Friedhof bekommen haben? Oder Bewohner von Lebsos selbst, die versuchen, den Opfern ein würdevolles Ende zu bereiten? All das bleibt offen.
Zurück auf der Hauptstrasse begegne ich einem Pakistaner auf dem Fahrrad, der in der Nähe arbeitet. Von diesem Friedhof hat er bislang nicht gehört. Aber es gebe weitere auf der Insel, erzählt er. Scham, Schande und zum Schweigen verurteilte Echos von Tränen liegen in der Luft, als sich die Wolken zu grauen Regenschwaden über mir verdichten.
Inselfriedhöfe sind das grosse verschwiegene Kapitel der Fluchten. Dabei mehren sich offizielle wie inoffizielle Friedhöfe entlang des Mittelmeers. Aber nur selten tauchen Bilder davon auf. Rückblende: Lampedusa 2013 – damals ertranken 300-400 Flüchtlinge. Europa schien endlich das Ausmaß der Tragödie zu verstehen. Ein Staatsbegräbnis wurde angeordnet. Den toten Migranten postum die italienische Staatsbürgerschaft verliehen, Angehörigen der Flüchtlinge allerdings die Einreise nach Italien zur Teilnahme an der Trauerfeier verwehrt. So konnten keine Hinterbliebenen die Leichen identifizieren. Sie wurden anonym beigesetzt. Wer gerettet wurde, sah sich mit dem Vorwurf der illegalen Einreise kriminalisiert.
„Solange die Flüchtlinge Grenzen überwinden, sind sie ein Thema“, schreibt der Forscher Reiner Sörries in einer Aufarbeitung der Vorfälle, „nicht jedoch, wenn sie tot und zu bestatten sind.“ In Sidero, auf dem griechischen Festland nahe dem Grenzfluss Evros zur Türkei, ist inzwischen geregelt, dass tote Migranten für 80 Tage in eine Kühlzelle kommen. Wenn sich in dieser Zeit keiner um sie kümmert, werden sie zur Beerdigung freigegeben. Feste Regeln zur Bestattung gibt es unter den EU-Staaten offenbar nicht. Überhaupt scheint ein europaweites System zu fehlen, das die Identität der Opfer klärt. An ihre Stelle treten ein ums andere Mal engagierte Menschen, private Vereine, zivile Bündnisse oder Hilfsorganisationen. Manche haben es so in unermüdlicher Kleinarbeit geschafft, Verwandte aufzuspüren und ihnen verbliebene Gegenstände der Toten auszuhändigen, oft über die Grenzen zwischen Europa und Afrika hinweg. „Vielleicht“, so Sörries, „sollte sich der UNCHR“ um solche Helfer „an Europas Küsten bemühen, solange Europa weder für die Aufnahme von Flüchtlingen noch für die Bestattung der Toten zu menschenwürdigen Regelungen gefunden hat.“
Vassilios fährt auf Lesbos Flüchtlinge zu seiner Arbeitsstätte und zurück. Er beschäftigt eine handvoll Migranten in einer kleinen Schänke, bietet freies Essen und Getränke. Drei Jahre nach den Rekord-Flüchtlingszahlen auf Lesbos hat sich der Wind gedreht. Die Krise setzt vielen Griechen selbst gehörig zu.
Auf Lesbos gibt es einige dieser stillen, unscheinbaren Helfer. Vassilios (s. Foto) ist einer von ihnen. Von ihm könnte die Initiative des Friedhofs von Kato Tritos stammen. Er sieht mich aus der Richtung der Gräber kommen, sagt aber nichts. Zusammen mit seinen beiden Söhnen betreibt er eine kleine Gaststätte in der Nähe, die tagsüber Essen serviert, ein warmes Dach über dem Kopf bietet. Von Flüchtlingen für Flüchtlinge wird hier gekocht. „Ich bin selbst viel auf der Strasse und zwischen den Ländern unterwegs gewesen in meinem Leben“, erzählt er und steigt in seinen Pick-Up. Während der Fahrt winkt er jedem am Strassenrand ostentativ zu, der nicht wie ein einheimischer Grieche aussieht. In Mytilene, der Insel-Hauptstadt hat einer der Söhne Vassilios‘ ein Internet-Café für Migranten eröffnet. Geöffnet rund um die Uhr, Café und Tee gibt es gratis. Der Raum ist voller junger Menschen, die miteinander reden, auf Handys herumtimmen, eingehüllt in Anoraks.
Ich höre von vergleichbaren Initiativen anderswo auf der Insel. Allerdings scheinen mittlerweile nicht alle Einheimischen von solchen Initiativen begeistert. Die wenigen Bistros oder Restaurants, in denen Essen frei oder kostengünstig für Flüchtlinge serviert wird, sind Orte, die Ortsansässigen meiden, höre ich, nach all dem, was die Insel erlebt hat in den letzten Jahren. Der Wind scheint sich zu drehen. Engagierte Helfer müssen sich rechtfertigen, sich verstecken, wenn sie sich in der Form engagieren.
Der stille Unmut der Einheimischen ist gewachsen. Unmut über die Medien auch. Ausändische Reporter, die auf das Eiland kommen, waren bislang in erster Linie am Schicksal der Flüchtlinge interessiert. Auf sie sind die Menschen auf der Insel nicht immer gut zu sprechen. Ein Stück weit kann man sie sogar verstehen. Es erscheint also folgerichtig, wenn dieser exklusive Bericht auch Geschichten über Leben und Schicksal der einheimischen Bevölkerung spiegelt. Das meint vor allem die wirtschaftliche Krise in Griechenland und auf der Insel, von der viele unverändert hart betroffen sind.
Etwa die zahlreichen Oliven-Bauern auf der Insel, dem Hauptprodukt, von dessen Produktion und Export Lesbos lebt.
In Polichnitos besuche ich einen Unternehmer, der wie in jedem Winter die Oliven-Ernte vieler Kleinbauern aus der Nachbarschaft sammelt
und verarbeitet. (s. Foto) Ein halbes Dutzend Familien und Kooperativen haben ihre Säcke auf dem Hof abgestellt. Der Griff in die riesigen ‚ Jute-Taschen zeigt, wo das Problem liegt: Würmer haben die Oliven befallen. „2018/2019 wird ein Großteil der Oliven-Ernte ausfallen deshalb“, erklärt der Fabrikan. Dacus olei heisst der Schädling. Eine wiederkehrende, unberechenbare Plage für die Olive und die Bauern in dieser Region.
Jedes zweite Jahr, sagt man, pausiert der Olivenbaum hier. Eine unerklärte Eigenwilligkeit des knorrigen Baumes, kein griechisches Privileg im Mittelmeeraum. Aber auf Lesbos trifft es die Menschen besonders hart zur Zeit. Neben dem Ouzo, dem weltbekannten Anis-Schnaps, sind Oliven der Reichtum der Insel. „Die Oliven sind unser Öl, unser Gold. Und wenn das Öl wegbleibt, haben wir ein Problem“, schaut der Fabrikant mich fragend an.
Die finanzillen Verluste sind enorm, beklagt auch dieser Oliven-Fabrikant in Polichnitos.
Sieht aus wie Krieg – ist aber ein Erdbeben. Im Juni 2017 bebte die Erde. Auf Lebos starben Menschen. Vor allem das kleine Dorf Vrissa ging damals durch die Medien. Hier ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Bis heute ist von Wiederaufbau wenig zu sehen.
Von Polichnitos nur wenige Kilometer südlich geht es in Richtung des kleinen Ort Vrissa. Vorbei an thermischen Quellen, Gesundheitsbädern. Hier tritt das Wasser an manchen Stellen mit über 90 Grad an die Erdoberfläche. Die Quellen sind ein Indiz für geologische Verschiebungen auch. Erdbeben. Ein solches hat vor zwei Jahren das kleine Vrissa getroffen. Fast kein Stein ist auf dem anderen geblieben – ein bekanntes Klischee. Hier aber trifft es zu. Am Ortseingang, der mit einem Plastikband abgesperrt ist, schaufelt ein Bagger Brocken einer eingestürtzten Wand beiseite. Vereinzelt huschen ältere Menschen zwischen den Ruinen entlang. Der Kirchenturm im Ortskern ist eingefasst mit einer stützenden Holzkonstruktion. Sonst scheint wenig passiert. Von Wiederaufbau keine Spur. „Wir hoffen immer noch, dass der Staat uns die versprochene Hilfe zukommen lässt. Noch ist die Schadensfeststellung nicht abgeschlossen, welche Gebäude ganz weichen müssen und wo die Substanz noch erhalten werden kann.“ Die meisten Bewohner wurden umgesiedelt auf der Insel. Aber das Herz dieses Bewohners (Bild) hängt ganz offenbar an dem kaputten Zuhause.
Können Flüchtlinge und Migranten bei den Aufräumarbeiten nicht behilflich sein? Wie können Sie überhaupt auf der Insel und solange sie noch im Asylverfahren sind, sich mit Arbeit betätigen – das habe ich auch diesen Mann gefragt. Einmal, sagte er, sei eine Hilfsorganisation, eine griechische da gewesen mit dem Bus aus Mytilene. Sie halfen, Trümmern wegzuräumen. Es blieb bei der einmaligen Aktion. U.a. der Transport der Menschen aus den Lagern an andere Orte auf der Insel ist schwierig zu organisieren, höre ich. Auch gewisse Vorbehalte gegenüber muslimischen Gruppen sind spürbar. Nicht bei dem Mann aus Vrissa, der mir Rede und Antwort steht, aber auf das Ganze gesehen. Der Grund liegt ein Jahrhundert zurück: die ethnischen Säuberungen der kleinasiatischen Katastrophe werfen bis heute ihre Schatten. So kann von den verstorbenen Flüchtlingen am Ehesten ein Christ auf eine reguläre Bestattung hoffen. Muslimische Opfer haben da eher ein Problem. Oft wollen Hinterbliebene die Opfer heimholen. Das wiederum scheitert regelmäßig an den Kosten.
Ein Bewohner von Vrissa vor den Trümmern des Ortes. Sein Vater, 94-jährig, hat sein Stammcafé verloren, erzählt er.
Die Familie wurde umgesiedelt in die nähere Umgebung.
Der Tourismus als Einnahmequelle ist durch die Entwicklung der letzten Jahre auf Lesbos weitgehend zum Erliegen gekommen. „No business. Tourism is dead.“ Keine Gäste mehr – winkt der Manager eines Vorzeigehotels im Hafen von Mytilene ab. Ein Rückgang von 80 Prozent und mehr, zählt er auf. Andere am Ort reden von einer leichten Erhohlung, die Tourismusbehörde gehe mit Werbe-Videos wieder an die Öffentlichkeit.
Es sind jetzt vor allem Helfer und Beamte der Flüchtlings-Industrie (so muss man es wohl oder übel nennen), die hier Zimmer buchen: UN-, NGO- oder Frontex-Mitarbeiter, die sich hier vorübergehend einquartieren. So kommt, auch im Tourismus-freien Winter, Geld in die Kassen. „Aber kein Vergleich zu vorher“, meint der Hotel-Manager, „Geschäfte, die Schuhe und Kleider verkaufen, machen vielleicht ein Plus, weil auch die Flüchtlinge Käufer sind. Aber nicht die Hotel-Besitzer“.
Viele Bewohner in Lesbos geben an, mittlerweile zwei bis drei Arbeiten auszuüben, um Miete und Unterhalt zahlen zu können. Manche
Berufsgruppen, u.a. Lehrer auf der Insel, haben in der jüngsten Zeit mehrere Monate lang auf ihre Gehälter warten müssen. Die Pensionen der Eltern wurden radikal gekürzt im Zuge der griechischen Finanz-Krise. Sparen an allen Ecken und Enden ist angesagt. Die Busfahrt von Mytilene nach Molyvos, an das nördliche Ende der Insel, dauert 90 Minuten und kostet umgerechnet 15 Euro, hin und zurück. Ich wundere mich, an einem Wochentag, wie leer der öffentliche Bus ist. „Für viele ist es mittlerweile zu teuer“, sagt er Fahrer, „sie bleiben lieber zuhause und lassen sich die Ware auf anderem Weg bringen.“
Es verwundert wenig, dass popoulistische und nationalistische Parteien versuchen, aus der ökonomischen Krise auf Lesbos Kapital zu schlagen. Ressentiments werden geschürt, Sozialneid geweckt. Die Flüchtlinge sind die Opfer. Etwa wenn kolportiert wird, die Migranten bekämen hunderte Euro pro Kopf.
Nach meinen Recherchen bekommt ein erwachsener Flüchtling im Lager Moria pro Kopf 90 Euro im Monat, für jedes Kind die Hälfte zusätzlich.
Die Busfahrt von Moria in die Stadt kostet 2 Euro, hin und zurück. Bei drei Einkaufsfahrten in der Woche ist eine Flüchtlings-Familie also einen guten Teil des Geldes los. Die lokale Bevölkerung kämpft derweil mit vielen eigenen wirtschatlichen Problemen.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern Parteien wie die Goldene Morgenröte – die griechische Version der AfD – daraus weiteres Kaptial schlagen können. Verhindern könnt einen Stimmungsumschwung u.a. die rasche Verteilung der Asylbewerber auf das griechische Festland und in die übrigen EU-Staaten. Das fordert Spyros Galinos, der Bürgermeister von Mytilene, seit langem. Erst vor wenigen Monaten hat er erneut vor einer Radikalisierung, dem Ausbruch neuer Gewalt gewarnt. Aus den eigenen Kassen kann er nicht schöpfen dabei. Die Hände sind ihm, dem Machtlosen, in dessen Ortskern sich alles abspielt, gebunden. Sein Hilferuf geht deshalb an seine Regierung und an die ganze EU. Die müsse endich die versprochene Entlastung bringen und dafür sorgen, dass die Flüchtlinge auf das Festland und in andere EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.
Warten auf Besserung. Wandschmuck in einer Schneiderei in Ayasos, Lesbos
Die Not und die Erfahrungen, die die Flüchtlinge machen, drücken einige von ihnen in persönlichen, subjektiven Gedichten und Versen aus, von denen eine Reihe gedruckt vorliegen. Hier einige Auszüge daraus:
Refugees
The EU is a virus.
It enters the life of a refugee. Scans his future. Transfers him to deportation, which is
equal to death.
Edits his mind and deletes his smile.
So please stay away from the EU.
Stay at your own home and accept
death.
Sen me the address of the EU.
I am a professional antivirus, full
version registered 2016.
Nur scheinbare Mittelmeer-Idylle: Notbehelfs-Unterkünfte im Olive-grove von Moria.
My world
How are you eating my world?
With technical planning
my world
stolen by someone
Bad luck, my World
In the hand of blind politicians
No fear, no shame
(…) You can shoot me
But in return
Can you free my world?
Diese beiden Flüchtlinge aus Pakistan stecken seit August 2016 auf Lesbos im Lager Moria fest und warten auf eine weitere Anhörung,
die über ihr Schicksal befinden soll.
Nothing
Europe, would you be mine?
Don’t aks how
The wound hurts
(…) Confusions increase with age
When I’m wise
Good for me
Heart can feel
If it can speak
I cry like a mother
You have permission
To hate me, but!
You have no permission
to forget me.
Auch dies ist Moria. Zwei junge Helferinnen tanzen während der Kleider-Verteilung an bedürftige Flüchtlinge bei lauter Rock-Musik auf einem
Container. Viele Hilfsorganisationen arbeiten mit Freiwilligen, sogenannten Volunteers, denen bei aller guter Absicht oft gelebte Erfahrung
und Fingerspitzengefühl fehlen.
Time does not say
Why are you angry?
I may be unlucky
but I am not a cheat
I am patient
Due to life
Not being healed
This era will be the past
Easy to say deportation
Could you ask
who was deported?
This era will be the past
Lots of angels
But the EU did not understand
My silence
This era will be the past
Shame is waiting
Incurable
Waiting for death
This era will be the past
Nach wie vor gibt es viele Kleiderspenden aus der einheimischen Bevölkerung. Das Leben im Lager bleibt vielen der Bewohner zugleich unbekannt. Moria liegt 10 km außerhalb von Mytilene, ursprünglich ganz sicher auch, um den Tourismus auf Lesbos nicht sichtbar zu stören.
Don’t worry Mum
Done with dangerous ways
Crossed the Aegean Sea
Got a new life
Sweet mum don’t worry…
Flüchtlinge drängen in den Bus am Tor zum Lager Moria. Eine Fahrt in die Stadt und zurück ist vielen Flüchtlingen zu teuer. Junge Männer gehen häufig 1-2 Stunden zu Fuß, um das wenige Geld, das ihnen zugeteilt wird, zu sparen.
…Between humans now
Humanity is alive
People like angels
Sweet Mum don’t worry
„Love you, Europe
Thank you, Greece
God bless you
Keeping my son safe“ …
Diese jungen Afghaninnen lernen in ihrem Zelt im Lager Moria. Vielen sind Bildungsangebote in der Stadt entweder nicht bekannt oder die Fahrt dorthin ist ihnen zu teuer. In der Stadt bieten einige der Hilfsorganisationen Sprach-Unterricht in Griechisch, Englisch sowie (einfache) Computer-Kurse. Arbeiten dürfen die meisten Migranten auf der Insel nicht.
… I’m treated well
Eating energetic food
Air-conditioned rooms
Sweet Mum don’t worry…
Diese Hilfsorganisation verteilt Essen in einem Waldstück am Rand der Stadt an junge Flüchtlinge. Viele beklagen das schlechte Essen im Lager, mehr noch das stundenlange Anstehen für Mahlzeiten, die am Ende oft kalt sind.
…“Why have you been there so long?“
Getting an education
Doing a project
Sween Mum don’t worry
– I’m sorry, Mum.
Auch medizinische Nothilfe bemühen sich die Hilfsorganisationen bei der Gelegenheit anzubieten. Manche von ihnen,
beklaten die Stadtverantwortlichen, seien nicht registriert und zögen sich den Unmut auch der Einheimischen zu.
Yet another grave
In the century of my endless skin
I am tired of creating graves
Tired of walking upon them
Stumbling
In search of my own…
Taufe am Weihnachtsfest für zwei jungen Frauen aus Kamerun in der katholischen Kirche von Mytilene.
… schon wieder ein Grab
im wegen Grabfeld meiner Haut
will kein Grab mehr graben
will nicht mehr auf ihnen laufen
stolpern
auf der Suche nach den Meinen.
Ein Vater versucht am Hafen von Mytilene Fische zu fangen, mit seinen drei Kindern, ein häufig gesehener Versuch, mit der Zeit umzugehen zwischen dem Verdammtsein zum Nichtstun und dem Versuch, den eigenen Kindern in Ermangelung von Freizeitangeboten etwas zu bieten.
Auf Lesbos verarbeiten Flüchtlinge alte Rettungswesten, mit denen die Migranten aus der Türkei in Lebensgefahr übers Meeer gekommen
sind, zu Laptop-Taschen und anderen Träger-Teilen als Mode-Acessoirs. Käufer sind zumeist Freiwillige und Helfer von Hilfsorganisationen.
Mir zumindest kam die Frage, warum vor allem Flüchtlinge diese Arbeit tun und was die Wiederbegegnung mit den Vesten als Träger des
Traumas der Meeres-Überquerung bei ihnen auslöst?
Unverändert kommen Flüchtlinge von der nur wenige Kilometer entfernten türkischen Küstenseit. Offenbar gelingt es den türkischen
Behörden nicht, das Geschäft der Schlepper ganz einzudämmen. Womöglich ist dies aber auch nicht erwünscht, denn von dem Geld der
Schlepper profitieren viele. Im Hafen von Mytilene liegen griechische Küstenwache und Frontex mit Booten vor Anker. Sie rücken regelmäßig
aus um Schlauchboote auf dem Seestreifen zur Türkei zu orten. Die Frontex-Teams geniessen bei Flüchtlingen wie bei der einheimischen
Bevölkerung von Lesbos keinen guten Ruf. Von überheblichem Auftreten ist die Rede.
Einer von einer halben Million: Über 500.000 Flüchtlinge sind seit 2015 auf Lesbos angekommen. Für die Meisten von ihnen bedeutet das im März 2016 zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Abkommen den Verbleib auf der Insel, ohne klare Perspektive, wann und ob sie jemals auf das griechische Festland weiterkommen.