Schön geredet: Der Untersuchungsausschuss Afghanistan
Der Bundestag-Untersuchungsausschuss zu Afghanistan geht auf die Zielgerade. Angela Merkel wird nächste Woche vernommen. Jahrelang wurde die Lage in Afghanistan schön geredet: Hier mein Kommentar im Deutschlandfunk als link, und die ganze Fassung im Fließtext. / The Bundestag committee of enquiry into Afghanistan is entering the final stage. For years, the situation in Afghanistan has been misjudged. a comment (in German),
https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-zum-afghanistan-ausschuss-die-versaeumnisse-der-bundesregierung-dlf-df04e1f3-100.html
Schön geredet: Die deutsche Politik vor dem BT-Untersuchungsausschuss Afghanistan / M.Gerner
Die apokalyptischen Bilder vom Flughafen Kabul am 15. August vor drei Jahren bei Rückkehr der Taliban – wer könnte sie vergessen. Sie schreien unverändert nach einer angemessenen Analyse der Fehler und einer Politik, die die Lehren aus dem Desaster zieht.
Heiko Maas, der ehemalige Außenminister, hat nach eigenen Angaben wegen der chaotischen Bilder der Evakuierung am Flughafen Kabul damals seinen vorzeitigen Rückzug als Minister erwogen, sagt er heute. Alles andere als diese schwache weil dehnbare Formel der Selbstbeschau, die offene Selbstkritik vermissen läßt, wäre eine weitere Ohrfeige für betroffene Afghan:innen gewesen.
Zudem, so Maas, habe es keine Lageanalyse der USA mit den beteiligten NATO-Partnern über einen geregelten Abzug gegeben. Hier liegt natürlich ein Teil des Übels für die Katastrophe am Flughafen Kabul. Als Bündnispartner hätten Maas und Deutschland vielmehr Mitsprache einfordern müssen. Nachdem die US-Regierung den Taliban 2020 in Doha faktisch das Land übergeben hatte, wurden Mitsprachemöglichkeiten hier schon viel früher verspielt. Was sich rächte.
Tatsächlich ist die causa Maas, damals wie heute, nur die Spitze des Eisbergs. Nämlich eines weit längeren offiziellen deutschen Versagens bei der Evakuierung der sogenannten Ortskräfte, also afghanischer Helfer im Dienste Deutschlands.
Angefangen hat das Versagen 2014, als der Löwenanteil der NATO-Truppen und auch der Bundeswehr aus Afghanistan abzogen. Schon damals, sieben Jahre vor der Katastrophe, wandten sich bedrohte Ortskräfte, vielfach Übersetzer für die Bundeswehr, an das Auswärtige Amt und an die deutsche Politik mit Hilferufen, weil sie verfolgt wurden. Immer wieder wurden sie abgespeist. Bis zuletzt fehlte so ein umfassendes Bild über die Lage bedrohter Helfer in deutschen Diensten. Der Untersuchungsausschuss ergründet Fälle von Ortskräften erst ab 2020. Auch das ein Fehler.
Ex-CSU-Entwicklungsministers Müller redete heute von bleibenden Werten, die die deutsche Hilfe hinterlasse. Beispielsweise Bildung für Millionen von Frauen, die auch nach der erneuten Machtübernahme der Taliban nachwirke. Das ist nicht vollkommen falsch – dennoch bleibt einem hier der Kloß im Hals stecken: Es herrscht Gender-Apartheid in Afghanistan. Bis auf Weiteres, wie es den Anschein hat.
Vor der Lawine an Hilferufen von Ortskräften im Sommer 2021 hatten neben Stimmen aus der deutschen Botschaft in Kabul über Jahren auch deutsche Hilfsorganisationen gewarnt; Teile der afghanischen Diaspora in Deutschland und zu einem geringern Teil Vertreter von Bundeswehr und Nachrichtendienste.
Dass schnelles Handeln ausblieb, war ein nicht entschuldbarer politischer wie humanitärer Fehler. Zustande kam er durch immer wieder neue Reibungsverluste zwischen den beteiligten Ministerien und Sicherheitskreisen. In Kabul gesammelte Erkenntnisse und Warnrufe gingen zwar an das Auswärtigen Amt, den BND oder das Kanzleramt – aber dort zunächst durch viele Hände, ehe sie auf höchster Ebene landeten. Am Ende wurde so lange an Formulierungen gefeilt, bis das Bild ins Konzept der Verantwortlichen passte, wie ein ehemaliger deutscher Botschafter in Kabul bescheinigt. Jahrelang hat man sich die Lage in Afghanistan so schön geredet.
Lehren aus dem gescheiterten Einsatz? Das that auch der Zwischenbericht der Bundestags-Enquetekommission im Frühjahr dieses Jahre getan. Alledings nur in homöpathischen Dosen. Die beteiligten Ministerien konzedieren darin bestimmte Fehler, und retten ansonsten ihr Gesicht. Ein Offenbarungseid findet nicht statt. Andere Länder, allen voran Norwegen, waren da gründlicher.
Nächste Woche wird ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Zeugenstand treten. Der Ausschuss hat es jetzt eiligt, wegen der vorgezogenen Bundestagswahl. Fast vergessen wird dabei, dass das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, das gefährdeten Afghanen die Einreise nach Deutschland ermöglichen soll, jetzt vor dem Aus steht. Damit kommen Tausende bereits registrierter Fälle bedrohter Afghan:innen nicht mehr zum Zug. Das Versprechen von Angela Merkel, niemanden in Gefahr zurückzulassen, bliebe damit uneingelöst. Stattdessen forcieren die Parteien im Bundestag jetzt Abschiebungen nach Afghanistan. Das aber geht nur, in dem man mit den Taliban spricht. Hinter den Kulissen läuft dies bereits seit geraumer Zeit. Womöglich steht auch hier eine erneute Zeitenwende an.