The Rocky Horror Texas Show – One year into Trump-Land

Texas, das wird einem beim Reisen durch die USA klar, ist ein passender Ort auf der Suche nach Antworten auf das veränderte Amerika unter Trump. Weil in Texas alles beim Alten ist. Und sich doch zugleich rapide ändert. Wohl nirgendwo ist der Individualismus der Nordamerikaner ausgeprägter als hier, nirgendwo wird das freundliche Desinteresse an der Welt so unverhüllt zur Schau getragen. In Texas scheint der Glaube an Öl und Autos als sichtbarste Form der pursuit of hapiness und unveräußerbarer Teil der amerikanischen Verfassung fest in die gesellschaftliche DNA von arm und reich eingeschrieben zu sein.  An der Universität von Lamar, an der ich dieser Tage unterrichtet habe, sieht man jedenfalls weit und breit kein Fahrrad. Alle Stundeten fahren mit dem Auto. Nirgendwo in den USA, auch das sei hinzugefügt, wird die Todesstrafe so oft vollstreckt wie in Texas.
Der American Exceptionalism trägt hier, im Südosten des Bundesstaates, viele Namen. Einer davon ist der Spindletop, jene kilometergrosse Salzbeule unterhalb der Erdoberfläche, aus der 1901 die erste Ölquelle im Süden der USA sprudelte: neun Tage lang schoss das schwarze Gold meterhoch in den Himmel von Beaumont, wie die nächstgelegene Stadt heute heisst. Eine Million Liter Rohöl versickerten damals vor den Augen ihrer Entdecker. Aber das war, wie sich zeigen sollte, egal. Der Vorrat schien unerschöpflich. In dieser Gewissheit scheinen heute noch viele Texaner zu leben. Bei Benzinpreisen von umgerechnet rund 50-60 Cent, die eher an Verhältnisse in den Arabischen Emiraten erinnern, wird jeder Meter auf vier Rädern zurückgelegt. Zu Fuß gehen gilt als etwas für Zauderer, für Schwächlinge, so macht es den Eindruck. Wer Fahrrad fährt muss damit rechnen für einen Obdachlosen gehalten zu werden. Oder meine Gespräch als ich Teiel meiner Route mit dem Greyhound-Bus zurückgelegt habe: Eine Sache für Backpacker, für ewige Studenten oder Hippies, lautete auch hier die Mimik und Zeichensprachen derer, die Auto-Logik bevorzugen. Freiheit, das spürt man auf jedem Meter durch Texas, ist in erster Linie die Freiheit am Steuer.


Verhältnisse wie in den Emiraten: Benzinpreise um 50 Cent/Liter in Texas, hier in Vidor, einer langjährigen Hochburg des Klu-Klux-Klan

Beaumont mit seiner Lamar Universität ist eine Kleinstadt im erweiterten Einzugsbereich von Houston. Die Lamar Universität produziert vor allem Studenten der Ingenieurswissenschaften, die später in die Öl-, Petro- und Chemie-Industrie einsteigen sollen, so die Wunschvorstellung. Allerdings fehlt der Nachwuchs, wie mir Dozenten erläutern. Viele junge Männer und Frauen, die hier anfangen, bringen keine ausreichenden Schulkenntnisse mit. Seitdem investiert die Universität viel Geld in Werbung, um Ingenieure aus dem Rest der Vereinigten Staaten und dem Ausland zu werben. Aber auch das klappt nicht wirklich. Akademischen Nachwuchs in eine Kleinstadt ohne besonderes Flair und Perspektie zu bringen ist schwierig. Beaumont hat den kurzen Wirtschafts-Boom der 1930er bis 50er Jahren längst hinter sich. Es droht es in gähnender Einöde zu verkommen. Downtown wohnt keine einzige Seele. Das Zentrum wie ausgestorben. Der Rest sind schachbrettartig angesiedelte Wohnviertel drumherum, durchsetzt mit Shopping-Zentren und Fastfood-Ketten. Wer aus dem Dozenten- und Lehrpool aus der Uni kann, den drängt es nach ein paar Jahren nach Houston oder Austin, an die Ost- und Westküste.
Der Grund für die Misere hat so gut mit Texas wie mit dem Rest der USA zu tun: die öffentlichen Schulen gelten als schlecht bis katastrophal. Sie produzieren genug Absolventen, die nicht ordentlich lesen und schreiben können.  Das erste, was mir an der Uni auffällt: die riesige Anzahl fettleibiger Studenten. Zieht es gar ihre intellektuellen Fähigkeiten in Mitleidenschaft, wie einer der Gastgeber betroffen kommentiert? Kaum etwas hat mich in den Tagen hier so beschäftigt wie der akademisch-soziale Nachteil durch Ernährung. Tatsächlich wachsen viele der jungen Farbigen und Schwarzen ohne einen Supermarkt zum Einkaufen in ihrem Viertel auf. In das nächste Lebensmittelgeschäft müssen sie mit dem Bus fahren, sofern es ein funktionierendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel gibt. Wo Supermärkte mit Frischware hilfreich wären stehen stattdessen Mc Donalds-Restaurants und Fastfood-Ketten, die ihre krankmachenden Fettsäuren, Mayonnaisen und künstlichen Zuckergüsse an die Jugend bringen. Die ökonomische Benachteiligung der Afroamerikaner in den USA ist nach wie vor evident, schreibt ein deutscher Experte, der es wissen muß. Ihre Armutsquote liegt immer noch fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt (27,4 % zu 15,1 %).

Der Küstenstreifen von Beaumont bis nach Houston, das sind vor allem Öl-Raffinerien die sich über den ganzen Küstenstreifen ausdehnen. Direkt am Interstate Highway Nummer 10: riesige Verkaufsparks für brandneue Autos und Pick-Up Trucks. Ford ist noch immer die führende Marke hier zusammen mit anderen US-Modellen, wenngleich viele Texaner längst ein japanisches oder europäische Modell bevorzugen. Und eingestehen, dass die fremden Wagen robuster seien und länger lebten als US-Autos. Noch zehrt die heimische Wirtschaft von der Tradition im Wettlauf mit der internationalen Konkurrenz. Letzteres hat, Trump hin der her, schon längst vor Ort invesiert. Der japanische Toyota-Konzern bei San Antonio, zwei Autostunden von Houston entfernt. Das schafft Arbeit – wenn auch, aus Sicht Trumps, die falsche Form von Arbeit. Spätestens wenn es um den Bau einer Mauer nach Mexiko geht, wird der Protektionismus gegenüber Mexiko zum Boomerang. Die Toyota-Fabrik in San Antonio lebt nämlich, wie mir Dan, einer angesehener Wirtschafts-Journalist aus der Region erklärt, vom Austausch mit Mexiko. Fünf- bis sechsmal gehen einzelne Produktionsteile über die Grenze nach Mexiko hin und zurück, bevor ein fertiges Auto vom Band geht. Die Mauer, von der Trump uns noch immer glauben machen will, er würde sie bauen, droht damit an der Wirklichkeit zu scheitern. Das Problem besteht darin, dass Trump versucht, die Wirklichkeit zur Anpassung zu zwingen, hat es den Eindruck.


Golden Triangle und Cancer Belt: Petro- und Chemo-Industrie um Beamont/Texas

Wenn die Menschen hier dennoch dem ureigenen Texas state of mind folgen, dann vermutlich, weil der US-Bundesstaat nach wie vor als wirtschaftliche Großmacht gilt, im nationalen wie im internationalen Vergleich. Die vorhandenen Öl- und Gas-Reserven nähren die Illusion, dass es immer so weitergehen könne. Trotz des von den Saudis und der OPEC verordneten Dumping-Preise für das Barrel Rohöl, das vor allem dem Fracking in den USA den Garaus machen soll, spüre ich auf dieser Reise keine Krisenstimmung unter den Texanern. (aber dafür treffe ich, zugegeben, auch zuwenige aus der Unterschicht.) Alles mag eine Frage der Zeit sein.
Zur saudischen Königsfamilie nach Riad hat Trump seine erste Auslands-Visite gemacht. Und die Saudis mit Waffenlieferungen im Wert von mehreren Hundert Milliarden US-Dollar beglückt. Was das u.a. für Folgen hat kann man derzeit in den Medien verfolgen. Dabei bleiben die Saudis falsch verstandenen Verbündete der USA und des Westens. Wo weltweit der Terror zuschlägt über die letzten Jahre haben wahabitische Drahtzieher und obere Chargen von der arabischen Halbinsel regelmäßig ihre Finger mit im Spiel.  Dies ein um das andere Mal zu verdrängen und statt dessen schablonenhaft auf die Gefahr durch den Nachbarn Iran zu verweisen, gehört zur Selbsttäuschung der USA wie des Westens, zumal es den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten anheizt und damit dem Weltfrieden langfristig nicht dient.

Auf das absehbare Ende des Öl-Boom und Energien von morgen kommen meine Gesprächspartner in Texas nicht oder kaum zu reden. Fürchten sie die neue Zeitrechnung, die angestammten Bequemlichkeiten ein Ende machen würde? Dabei könnte die Saga vom Garten Eden hier weiter gedacht werden: Es springt ins Auge, dass Texas eine Region mit reichlich Sonne ist und kaum einen Winter kennt. Für Solarpanels und Solarindustrie erscheint es wie geschaffen. Boden und Winde eigenen sich ebenso als Heimstätte für Windenergie. All das sind, das merke ich schnell, Thesen mit denen man sich zumindest in Beaumont schnell unbeliebt machen kann vor Industriellen, wie mir Kevin Dodsen, Professor für politische Philosophie in Lamar zu verstehen gibt.
Denn die Orte Beaumont, Orange und Port Arthur mit ihren Vorkommen an Öl und Erdgas bilden das Golden Triangle der Rohstoffindustrie. Viele beziehen hier ihre Arbeit. Und selbst wenn bekannt ist, dass der Arbeitgeber die Umweltbilanz systematisch belastet, endet das hier selten in Umweltverbänden oder -aktivismus. Man würde sich angreifbar machen, womöglich seine Arbeit riskieren. Die Einwohner von Beamont nennen das Golden Triangle auch den Cancerbelt, also die Region der Krebserkrankungen. Ron, ein hochgewachsener Ingenieur mit deutsch-tschechischen Wurzeln, den ich hier auf dem Oktoberfest kennenlerne, der Attraktion im Rogers Park für einen Nachmittag. Er wischt das Wort vom Cancerbelt erst weg aus unserem Gespräch, um die Gefahr für Leib und Leben ein wenig später zu bestätigen.
Ron arbeitet für den französischen Chemie-Riesen Air Liquide. Seine Oberlippenbart verläuft fein gezwirbelt oberhalb des Mundes, Modell Kaiser Wilhelm II. Das scheint nichts Ungewöhnliches zu sein auf dem Oktoberfest hier. Das Bier fliesst in Massen. Mich interessiert vor allem, wo das Öl reichlich fließt und mit welchen Konsequenzen. Ein paar Tage später bekomme ich eine  Tour auf dem Spindletop. Der Boden beherbergt hier nicht nur Rohöl sondern auch Gas- und Sulfat-Vorkommen. Air Liquide handelt hier mit Kohlendioxid für die ganze Welt. Es kapitalisiert das schädliche Treibhausgas auf dem Markt und trägt so zum Klimaeffekt bei. Man kann nicht behaupten, das Ron dies verharmlost. Aber er ist auch kein Mann für Tacheles in dieser Hinsicht. Und so beginnt unsere Tour durch die Öl- und Gas-Reservate mit der Fütterung eines Krokodils, das hier hinter einem Zaun gehalten wird. Auch er ein typischer Bewohner des Golden Triangle übrigens.
Eine Führung auf den Öl- und Gasfeldern am Spindletop sei etwas Seltenes, erklärt man mir, normalerweise sei hier Sperrzone. Es reicht bestialisch. Nach wenigen Minuten schlägt es mir auf Lunge und Magen. Nach einer weiteren Stunde zwischen alten Ölpumpen mit Pferdekopf und hochmodernen Raffinerie-Anlagen, die allerlei Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheit suggerieren sollen, ist mir mulmig im Kopf. Fast könnte ich erbrechen. Die Körperorgane reagieren unmittelbar an den Öl- und Gasquellen wie ein menschlicher Geigerzähler. Für meine Gastgeber, in Beaumont Stadt bedeutet dies: ihr Kind hat desöfteren Spielverbot draussen. Die Ausläufer des Spindletops und seine Gerüche erreichen ihre Wohnviertel auch ohne dass die Winde ungünstig stehen.


Ewigs Gold?: 100 Jahre alte Ölpumpe am Spindletop, die für sich allein gerechnet rund 300.000 Dollar/Jahr generiert

Ron scheint gegen die beissenden Gerüche immunisiert. Er schmunzelnd nur. Und fügt hinzu, dass er bereits als junger Mann zu Militärzeiten mit dem toxischen Agent Orange in Kontakt gekommen sei, das man aus dem Vietnam-Krieg kennt. Seit Jahren funktionierten seine Organe nicht mehr so wie sie sollten. Er schlucke Medizin dagegen. Zumindest sein Geruchssinn scheint gelitten zu haben, denn er bekommt nicht mit, wonach ich ihn befrage. Zu meinem Erstaunen durchzieht reichlich Baumbestand und blühende Natur das Golden Triangle. Reiher, Wildvögel und Krokodile haben den unermüdlichen Drang nach Westen auf der Suche nach Reichtum überlebt. Umwelt-Protestler, eine Handvoll lokaler Reporter, die sich mit der Problematik systematisch auseinandersetzen hier an der Quelle? Fehlanzeige. Ich tröste mich damit, dass ich sie nur nicht getroffen habe auf meiner Durchreise. Dann verlassen wir das Ölfeld. Gehen in einen nah gelegene Bar, wo Ron mir Fotos seiner deutschen und tschechischen Vorfahren zeigt. Er will unbedingt nach Bratislava und Bayern, wissen wo seine Vorfahren herkommen. Es gibt sie also doch, die Neugier, die vom Draussen etwas wissen möchte.

Wo ist hier Trump-Land? Wo seine Wähler und vor allem: wer bekennt sich dazu? Könnte es John sein, der Fahrer des Mini-Buses, der zwischen dem Flughafen Houston und Beaumont hin- und her pendelt. Er traut keinem Medium, keiner Presse. Nicht mehr. Was er gewählt hat, mag er nicht sagen.
 Über Politik zu reden auf den Busfahrten  sei Tabu, ein ungeschriebenes Gesetz, solange andere Gästen mitführen. Also reden wir über die Auswüchse von Hurricane Rita 2005 und die jüngsten Hochwasserschäden durch Harvey, dem Dauerregen, der ganze Landstriche zwischen Houston und Orange unter Wasser gesetzt hat. Der dafür sorgt, dass Versicherungsschutz jetzt millionenfach ausbleibt, auch weil das föderale System pleite zu gehen droht (s. hier). „Hosuton’s struggle is America’s tale“, bemerkt selbstkritisch der Leitartikler der New York Times, und zeichnet ein düsteres Bild davon, wo der Texan way of life enden könnten: „The story of Harvey, Houston and the city’s difficult path forward is a quintessentially American tale. Time and again, America has bent the land to its will, imposing the doctrine of Manifest Destiny on nature’s most daunting obstacles. We have bridged the continent with railways and roads, erected cities in the desert, and changed the course of rivers.
Built on a mosquito-infested Texas swamp, Houston similarly willed itself into a great city. It is the country’s energy capital, home to oil and carbon-producing giants, to the space industry, medical research and engineers of every stripe. Its sprawl of highways and single-family homes is a postwar version of the American dream.
Unfortunately, nature always gets the last word. Houston’s growth contributed to the misery Harvey unleashed. The very forces that pushed the city forward are threatening its way of life.“ (hier)

John, der Busfahrer, hat schon den Hurrican Rita 2005 erlebt und die Schneise der Zerstörung, die dieser mit sich brachte. Seitdem verdächtigt er Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz sich an den Aufräumarbeiten bereichert zu haben. John ist jung, Mitte 30 höchtens. Aber mit der Gesellschaft um sich herum scheint er  abgeschlossen zu haben. Viele Amerikaner haben den Glauben an Tatsachen aufgegeben dieser Tage, so scheint es. Das Land ist zynischer geworden. Es ist schwer geworden, sich auf eine Faktenbasis zu verständigen, merkt der Kollege der New York Times an. Ist eine Rose wirklich eine Rose?
Menschen, die Trump gewählt haben geben sich gerne bedeckt. Die Erfahrung machen auch lokale Journalisten in Texals. Schließlich treffe ich eine Frau mit grauen Haaren, in ihrer zweiten Lebenshälfte. Ein Samstag, mitten in Halloween. Mit roter Perücke sitzt sie auf der Veranda ihrer Villa. Sie will von mir wissen, was ich von Trump halte. Auf meine verengte Perspektive eines einzelnen Europäers kommt ihre überraschende Antwort: „Yes. He is an asshole. He definitely is“.  Zwei drei Mal zieht sie so über ihren vermeintlichen Retter her. Bis klar wird, dass es nur um das Eine geht: „Nie im Leben werde ich 40 Prozent Steuer von meinem Geld hier zahlen. Dafür habe ich Trump gewählt. Und er enttäuscht uns hoffentlich nicht.“


Halloween in Texas: „Trump is an asshole“ bekennt diese Wählerin, und sieht sich trotzdem gut aufgehoben bei ihm

Schwarze, Arme, Gewalttätige in ihrer Nachbarschaft bezeichnet sie als Menschen, die „mit einer anderen DNA“ zur Welt gekommen seien. Da sei nichts zu machen. Ihre Tochter gehe jeden Morgen mit einem Schlachtermesser unter der Jacke zur Arbeit. Man müsse sich schliesslich schützen. Wenn jemand in ihr Haus eindringe, ihre Tochter oder sie anrühre, dann gebe es nur eine Antwort. „Erschiessen, ohne Zögern. Ein klarer Fall“.
Zugegeben, wir Europäer kommen da nicht mit. Oder versperre ich nur die Augen vor Ursachen des hausgemachten, europäischen Populismus der letzten Jahre? Die USA sind, auch das springt mir bei der Lektüre ins Auge, seit ihrer Gründung als Einwanderungsgesellschaft zwar mit einer hohen Integrationsfähigkeit ausgezeichnet, zugleich aber sehr gewalttätig. Im Schnitt verweisen die Statistiken auf 4-5 Mal höhere Raten bei Mord.
Zur Ehrenrettung der jungen Dame und ihrer Mutter: nichts besagt, dass sie ihre Waffen auch tatsächlich nutzen wird.

Auch dies atmet die Luft von Texas. Es liegt eine tiefe Verunsicherung in der Luft. Die Menschen misstrauen einander. Vor allem Weiße den Schwarzen. Die Wahl Trumps scheint so etwas wie die letzte Abwehrschlacht der weissen Protestanten im Land gegen den voransschreitenden demografische Wandel zu sein. Mit der Angst weckt er ihre Abwehrkräfte. Wie bei der AfD in Ostdeutschland, die Migration aus Asien und Afrika als Aufruf zur Verteidigungs des Abdenlandes versteht?
Die USA anno 2017 erscheint, wie ein Kollege anmerkt, als ein Cocktail aus Ängsten. „Angst vor dem Ende der weissen Mehrheit Amerikas. Ökonomische Angst (die Verwerfungen der Globalisierung). Kulturelle Angst (die urbane Elite, die Gewehre und Gott aus dem Land jagen will). Urangst (das Durchdrehen der Weißen angesichts eines schwarzen Präsidenten). Fremdenangst (die Horden der Einwanderer). Angst vor nationalem Niedergang (der Aufstieg Chinas und die endlosen Kriege nach 9/11). Angst vor der Zukunft (die Automatisierung und das Ende der Arbeit). Angst davor, seine Meinung zu sagen (die liberale Tyrannei des politisch Korrekten). Die Antwort daruf sind Breitbart, Fox News und twitter, eine Mischung aus wütendem Nationalismus und Eliten-Bashing, „eine siegreiche Guerilla-Offensive“.

Tatsächlich könnte der Bundesstaat Texas ganz anders dastehen. Nämlich weniger republikanisch. Würde er nicht unter der chronischen Wahlmüdigkeit seiner (sozial schwächeren) Bürger leiden. So aber teilt derzeit die regierende GOP, die Grand Old Party, die Wahlkreise neu auf – vielleicht in einer Form politischer Vorahnung. Nicht nur in Texas, auch in anderen US-Bundesstaaten gibt es traditionell das gerrymandering, eine manipulative Arrondierung der Wahlbezirke. Wahlkreisschiebung sagt das Wörterbuch dazu genau. Das Ziel: kein Konkurrent der gegnerischen Seite soll der eigenen Partei ernsthaft in die Quere kommen. Überraschungen bei kommenden Wahlen werden damit zunehmend ausgeschlossen. Eine Absage an offene Demokratie. Ein Zeichen der toxins, der Vergiftungen, die dem System der checks and balances in Wahrheit innewohnt, meint Kevin Dodsen vom Reauds Honors College in Lamar.
Dass Texas fest in die Hand der Republikaner gefallen ist, ist auch und erst eine Entwicklung der 60er Jahre und der Bürgerrechtsbewegeungen. Die demokratische Partei nahm diesen Kampf auf, identifizierte sich durch viele ihrer Kandidaten damit. Ihren Gegnern gilt sie seitdem als eine, die vor allem Minderheiten schützen will. Interessanterweise hat seit 1964 keiner der demokratischen US-Präsidentschaftkandidaten unter den weissen Wählern mehr die Mehrheit der Stimmen errungen.

Teil 1  Interview mt Kevid Dodsen, Professor für politische Philosophie, Reaud Honors College Lamar (zur Person siehe hier und hier )

Teil 2

Teil 3

 

Kevin Dodsen, Professor für politische Philosophie von der Ostküste, den sie hier hören können, ist eine Ausnahme in Lamar. Seine Vorträge über den Islam und  seine Thesen zum 100. Geburtstag der russischen Oktoberrevolution wirken an diesem Ort in Texas fast ewtas aufrührerisch, so kommt es mir vor. Provokation auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Man müsse die Leute hier konfrontieren mit den Wahrheiten, so Dodsen. Eine wirkliche Diskussion findet mangels gemeinsamer Anknüpfungspunkte allerdings selten statt. Die jungen Studenten kennen hier nicht einmal mehr Charlie Wilson. Jenen texanischen Senator, der in den 80er Jahren als Demokrat die konservative Reagan-Regierung überzeugen konnte, die  afghanischen Mudschaheddin mit Waffen im Wert von hundeten Millionen von Dollars auszustatten um die Rote Armee am Hindukusch zu bekämpfen. Die Idee von Charlie Wilson siegte. „Dann aber“, so Wilson, „haben wir alles in Afghanistan falsch gemacht, was ging.“

Man muss schon in das drei Stunden entfernte Austin fahren, um das aufgeschlossene, weitläufige Texas kennenzulernen, das die globale Erderwärmung, die schwelende Klima-Katastrophe anerkennt und lebhaft diskutiert. Austin ist die Bundeshauptstadt von Texas und boomt nicht nur wegen des Öls im Umland. Hier ziehen täglich über 80 neue Bürger mit Familien in die Stadt zu. Anders als Houston und Beaumont hat Austin ein Stadtzentrum, eine Downtown in der zahlreiche Menschen leben. Den Geist von Berkeley, der berühmten linken Universität von Kalifornien verströme Austin nicht, meint der Lokalreporter Dan, ein hier ansässiger Autor. Aber die Einstellung zu Staat und Welt sei kritisch, gemessen am Land da draussen.
Matthew Hall scheint in dieses Bild zu passen. Der junge Mann mit bordeaux-farbener Sportjacke, kurzen Haaren und wachem Blick ist wissenschaftlicehr Mitarbeiter der demokratischen Abgeordneten Ana Fernandez im Parlament von Texas. Ich treffe ihn hoch in der Rotunde des Kapitols von Austin, einem Bau so imposant wie das gleichnamige Kapitol in Washington, das Zuhause der beiden Kammern, Repräsentantenhaus und Senat.

„Wir Texaner lassen die Geschichte gerne ruhen“, bemerkt er kritisch über seine Landsleute. Wer die Einheimischen in Ruhe lasse, dem werde auch nichts getan. „Wir tun viel Zucker in unseren Kaffee“, so Matthew. „Denn Kaffee ist wie das Leben und in Wirklichkeit viel bitterer“. Matthew selbst kommt aus einer Familie, die mit Waffen und Colt die Unabhängigkeit von Texas erkämpft hat, wie er erzählt, als Siedler damals in den 1840er Jahren bei der Schlacht am Juancinto . Gegen Mexikaner und Ureinwohner. Und genau das treibt ihn um. „So wie man sich zu Auschwitz und Dachau bekennt, so sollten wir uns zu dem Leid bekennen, das wir verursacht haben,“ ist Matthew überzeugt. Er erwähnt die Sklaverei, den American Exceptionalism, die Vernichtung der Ureinwohner. Jahrelang habe er zuhause eine Auseinandersetzung mit der Familie geführt. Was seine Worte bedeuten, wird klar wenn man wenige Meter vom Kapitol das Museum für moderne Kunst von Austin besucht. Dort fehlt in der Abteilung für die Kunst der native Americans jeglicher kritische Hinweis auf eine andere Lesart, auf andere Narrative als die der siegreichen Weissen.
Vielleicht redet Matthew Hall auch so behände über weisse Flecken in der texanischen Geschichte weil er für die demokratische Abgeordnete Ana Hernandez arbeitet. Hernandez, erzählt er, war mit 26 Jahren nicht nur eine der jüngsten Abgeordneten im Repräsentantenhaus die es je gab, sondern auch ein undocumented migrant, als Einwanderin aus Mexiko in den 80er Jahren mit ihrer Familie. Eine jener Gruppen, der die Trump-Regierung jetzt den Garaus machen will.
Er stelle sich auf 4 Jahre Trump ein, meint Matthew, ganz Realpolitiker. „Ich hoffe, dass er in der Außenpolitik nicht auf den falschen Knopf drückt. Wir alle hoffen das und haben unsere Zweifel.“ Dann entlässt er mich wieder in die riesige Rotunde des Kapitols. Nicht ohne vorher klarzustellen, dass die Mehrheit der Gesetze und der parlamentarischen Arbeit in Texas viel häufiger pragmatische Mehrheiten findet, als man dies vermutet. Häufiger auch, als dies die Barrieren zwischen Republikanern und Demokraten unter Trump nahelegen. Ein Garant dafür in Texas sei seit Jahren das geschmeidige Politik-Management von Joe Straus, einem Republikaner und Sprecher den Abgeordnetenhauses. Wo der Senat von Texas ideologisch in Sexual- und Sozialfragen bliebe, habe Straus mehr als einmal Allianzen mit den texanischen Demokraten geschmiedet. So über einen Entwurf, der Trans-Sexuellen den Besuch von Frauen-Toiletten verbieten sollte. Das Gesetzt wurde abgeschmettert.
Das Problem: am Tag meines Besuchs bei Matthew tritt eben dieser Joe Straus überraschend zurück. Und hinterlässt eine Lücke. Gut möglich ist, dass nun ein Trump nahe stehender Republikaner die Führung im Repräsentantenhaus von Texas übernimmt und an seine Stelle tritt.
Ein einziger Mann – Trump – kann eine Demokratie nicht zerstören, nicht wenn sie noch halbwegs intakt ist – schreibt der Kollegen der New York Times, fast beschwörend. Der Anfang ist allerdings gemacht. Allein die rotzige, brutale Sprache, deren sich Trump und ein Teil seines Umfeldes bedienen, macht stumm. Und findet Nachahmer. Etwas funktioniert nicht mehr im System, und das System der checks and balances ist so gefragt in seinen Schutzmechanismen wie wohl nie zuvor. Auch ist Patronage in den oberen Staatsämtern augeschlossen. Trump hat dennoch seine Familie mit allerlei Posten versorgt. An eine Abwahl durch impeachment glauben immer weniger Menschen. Dass die Republikaner sich spalten könnten, wünschen der ein oder andere herbei, damit neues Blut ins verkrustete Parteiensystem gelangt. Wahrscheinlich ist das nicht. Die US-Verfassung hat überdauert seit mehr als 200 Jahren. Das ist bemerkenswert und zeigt die Weitsicht ihrer Urväter. Aber ist sie gerüstet für die Folgen des Turbo-Kapitalismus, den Auswüchsen globalen Wirtschaftens, für das hier vielfach soziale Sicherungssyteme fehlen?
Ich bin mittlerweile zurück aus dem US-amerikanischen Hochdruck-Kessel. Aus der Ferne wag ich zu prognostizieren: The future is certain. It is the past that is unpredictable.

Für Studenten und Dozenten waren meine Kurse und Veranstaltungen zu Kriegen und Konflikten unter US-Beteiligung
in Nahost und Zentralasien in gewisser Weise Neuland: sieh hier, hier und hier.