Vom 1000-tägigen Krieg…

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…, an diesem 19. November 2024, dem Krieg der nicht endenden russischen Angriffe und der ebenso ausdauernden ukrainischen Abwehrversuche, erzählt die Zeitschrift Die Horen, in ihrer neuen Ausgabe. Das neue Heft erschien schon ein paar Tage vor dem heutigen Datum, als arbeiteten Christof Hamann, quasi schlafloser Chefplaner, und sein Team auf eben diesen Tag zu. Zwei urkainische Autorinnen lernte ich dabei kennen, die mir das Buch signierten, lächelnd – Olena Herasymjuk und Halyna Kruk. Ich hoffe, sie leben noch? Ich weiß jedenfalls nicht, wo sie im Augenblick sind, zuhause. Von ihnen unter anderem stammt ein Teil der Lyrik im Band, aus dem ich ausschnittsweise zitiere. In der Hoffnung, dass „die Wunden Vögel werden“, wie es im Untertitel der Horen heißt. Dazu Fotos meiner letzten Ukraine-Reise, so passend als eben möglich:

Ich bin die Dichertin, die unsichtbare Verse schreibt
für meine getöteten Leser (…)
Der Krieg ist ein Orchestergraben der Poesie.
Ihre unsichtbare Kunst erklingt
und durchbohrt mit Schrapnellen uns alle,
sie zerreißt die Körper von Büchern und Menschen, die sie lesen.
(…) und ihr denkt:
Das ist Poesie,
das ist Unterhaltung, (…)
aber das sind keine Gedichte mehr.
Olena Herasymjuk

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Skelette verbrannter Autos
begrüßen den aufgeschürften Morgen
aus einem fensterlosen Hochhaus
hört man jemandes Klavierspiel
(…) ertönt Chopins Mazurka
eine Frau an der Haustür sagt
so ist es jeden Morgen
auch dieser Krieg geht nicht ewig
wie auch der Winter
der zurückweichen muss
Anatolij Dnistrowyi




(… ) Mit dem Panzerkommandanten,
den man seit Oktober sucht,
finde dich, erfinde dich
(…) und noch mit dem, der Tütennudeln isst,
vermischt mit kaltem Wasser,
mit dem, der in Gefangenschaft sitzt,
und niemals erzählt,
mit dem, der es schaffte,
gezeugt zu werden,
aber nicht mehr bis zur Geburt.
Und mit der,
die es nicht schaffte zu gebären.
Artur Dron




Vater unser!
Schick uns kein tägliches Brot,
denn es wird schlecht ohne Kühlschrank,
gibt uns lieber Zigaretten mit Kapseln,
einen gescheiten Mechaniker und den Generalstabsbefehl
denn wir hocken hier ohne Befehl. (…)

Und führe uns nicht in Versuchung, uns selbst zu erschießen
weder im Zivilen noch an der Front,
denn manche von uns gehen genau deshalb dorthin. (…)

Vater unser! (…)
in Ewigkeit positiv.
Verlasse mich, wenn Du
mit mir persönlich sprechen möchtest.
Olena Herasymjuk



Wird man nach uns Neues bauen
oder Verlorenes wiederherstellen? (….)
Alles wird sich am Morgen entscheiden



…. der Luftalamr lässt keinen Freiraum mehr übrig
für Alarm anderer Arten
vergessen Sie nicht, Gas und Licht auszuschalten
sagt im Radio die Stimme meines alten Bekannten
und ich verstehe, dass er keine Scherze macht
dieser Alarm ist bereits in deinen Lüften, Europa
nimm uns an wie schlechte Nachrichten
nimm und an wie vorzeitige Geburtswehen
das, was geboren wird, wird dein Geschöpf sein
egal wie süß
egal wie bitter
Halyna Kruk

(alle Zitate aus
„Weil die Wunden Vögel werden. Landschaften der Ukraine“
Die Horen, Ausgabe 295 / Wallstein Verlag